Am Strand von Netanya
Am Strand von Netanya
wurde mir klar, es kann ja
die Wüste das Meer nicht erreichen
sie würden einander sonst gleichen
Angstlust
Das Land
in Erwartung der See.
In seine offenen Spalten
strömt salzige Feuchte.
Auf dem Rücken liegend
überschwemmt mich
dein nasser Leib
Der Italienischer Zyklus
Vor Capri
I
Heute morgen
vor den Bädern des Tiberius
näherte sich unserem Boot
ein Zitronenfalter
ginstergelbe Blüte
über der unermesslichen Bläue
des tyrrhenischen Meeres
Vom Frühlingswind
sorglos
fort getragen von den Inselgärten
suchte er nun
taumelnd
halt am nassen Holz
kurze trügerische Rast
II
(abends im Hotelbett)
Er: das Gedicht braucht noch einen scharf philosophischen Schluss
Sie: Ich liebe Dich
Er: So sind wir eben, wir Dichter: liebenswerte Gesellen
Sie: Nichts als alte Wortwichser
Auf einer Bank in einem römischen Park
Im Sommer
der Duft von Jasmin
in den Gärten der Villa Borghese
und wenn ich dann
auf der Bank im giornale lese
„in cent’anni tutto cinese...“
dann frag ich mich doch
wozu das ganze Gewese ?
Primavera auf der Isola Bella
Auf der Isola Bella
balzen verwegen
die weißen Pfauen
Den Lago Maggiore
peitschen
lustvoll die lauen
Frühlingswinde
Der heilige Karl Borromeo
neigt sich
gelinde
und vergibt beiden
still ihre Sünde
Postkarte aus Torre del Lago
„Puccini Platz mit das Denkmal von Meister“
Giacomo heißt’ er
steht sich hier auf ein Podest
mit das Hut und die Galoschen
steckt sich Hände in der Taschen
fehlt ihm leider nur das Groschen
für den Parking Automat
Die gleiche Postkarte aus Torre del Lago
„Puccini Platz mit das Denkmal für Meister“
Frühverwaister,
Weitgereister,
Herr der Töne und der Geister,
Opfer dreister
Steinmetzkunst
Florenz, Piazza della Signoria
Des schönen Davids marmornes Glied
ist das eines Schwulen
wie jeder sieht
Fakten
die Frauen
die Freude versauen
(mit Th. Hinzpeter)
AUS DEN BOZZANESER ELEGIEN
(teilweise mit kollektiver Urheberschaft)
Herbstabend in der Toscana
Abends
Mit den Regenfluten
sank das Land
in schwarze Stunde
eine feuchte dunkle
Mulde
alle Laute wie verschluckt
nur Geruch nach nasser
Erde
Trunken
lag ich der dumpfen
Stube
atemlos in Dir
versunken
eingedrungen in die
stumme
Ungeduld des Muschelmundes
in die zuckend heiße
Wunde
bebend spürend Deine Lust
den Geruch nach nasser
Erde
Sonntag in der Toscana
Dies war ein Sonntag wie noch keiner war
das Land ertrank im Regenmeer
wir tranken dreizehn Flaschen leer
und war’n am Abend aller Sorgen bar
Toscana weg
Zypressenlos und pinienleer
versunken ganz im Regenmeer
die Wolken hängen tonnenschwer
die grünen Hügel fehlen sehr
Toscana, ach, gesteh doch zu
bist nächtens abgehauen, Du
lebst fort als fata
morgana
im Wüstensand der Afrikaner
Toscana paradox
Die Toscana wär zu finster
blühte zwischen den Zypressen
nicht gelegentlich auch Ginster
Zwischen den Zypressen
blüht doch oft der Ginster
die Toscana ist nicht finster
Sotto la Pergola
Motte und Falter
verderben am Licht
Vino und Grappa
hingegen nicht
Entfernt noch das Alter
Abstinenz und Verzicht
noch trinkt er der Pappa
noch glänzt sein Gesicht
Grappa
Ist der Grappa stark im Abgang
Lehnt der Mensch schon fast am Abhang
Ist der Grappa mild im Abgang
Lehnt der Mensch so sanft am Abhang
Gesang der Trunkenen am Pool
(dem Freiherrn von Eichendorff gewidmet)
Nacht dunkelt schon im Garten von Bozzano
Vom Firmanent her funkeln ferne Sterne
Und Grillen zirpen rings im Heckenrund
Ein Schalterdruck:
In grünem Licht erglänzt der swimming pool
Ein zarter Duft von Chlor betäubt die Sinne
Und Falter taumeln blind ins nasse Grab
Ach, wer da mitbaden könnte
In der prächtigen Sommernacht
An einen abwesenden Freund
Hier sitzen wir allein zu zweit
Es tut uns wirklich furchtbar leid
Ob der vermasselten Dreifaltigkeit!
Dennoch es lebt sich, nebbich, auch zu zweit
Morgens kregel, abends breit
Mittags schlemmen, Heiterkeit!
Boccia di notte
Boccia di notte
sotto i cipressi neri
di Bozzano
al canto struggente dell’usignolo
la luna
le stelle
il suono sordo delle bocce
che toccano
una volta a l’altra
Melancholia toscana
Zypressen steil und Pinien breit
Der Mond bescheint das ganze Leid
Ich trink’ mich langsam aus der Zeit
Am Ende winkt die Ewigkeit
***
Lungo il Po
(in memoriam Riccardo Bacchelli)
Lang schon versunken
die schwimmenden Mühlen
am Po
zwischen Rho und Guarda
Nur die Kirchtürme
deichwärts gerichtet
auf den einstmals verfeindeten Ufern
bewahren noch das Gedächtnis
im stummen Gang der Uhrzeiger
Nur noch Erinnerung
die gefahrvollen Wege der Schmuggler
bei Nacht über den schwarzen Fluß
In den Pappelhainen
werden die Pfingstfeuer vorbereitet
Ich liege im warmen Sand
zwischen Gräsern und Nessel
Ruhig gleitet der große Strom vorüber
Vom anderen Ufer ruft der Kuckuck
Auf der Rückfahrt nach Ferrara
den Deich entlang
pflücke ich roten Mohn
den der Wind
bald vom Lenker meines Rades
verweht
Città di Castello, Umbrien
Allein
unter den gelben Bäumen im Park
Ein kalter Wind
treibt die fallenden Blätter über das Tibertal
Cautopates, der Knabe
hat die Fackel gesenkt
an diesem Morgen
im späten Oktober
Bald wird der Winter
einziehen
auf den umbrischen Hügeln
Vor mir im Tal
fliegt ein Schwarm Tauben auf
Zwischen den dürren Stauden
ein kurzes weißes Flattern
dann entschwinden sie
hinter dem Horizont
Fester ziehe ich
die warme Jacke um die Schultern
und mache mich auf den Weg
zurück in die Stadt
ohne Hast
Venezianische Elegie
Venezia, Venezia,
es ist nicht zu fassen.
Selbst Leo, der Löwe
vom heiligen Marcus
kann sie nur hassen
die Damen
aus Wuppertal-Barmen
oder doch aus Torino?
Die ihr telefonino
selbst vor Parmigianino,
vor Masacchio oder Tiziano
nicht in taschino könn' lassen.
Im Weinberg oberhalb von Kloster Neustift (Novacella)
Es ward nun langsam dunkel
vom Tal her Glockenklang
die Farben wurden blasser
sie ahnten schon die Nacht
Die Raben umflogen das Kloster
die Winde wehten kalt
wo warteten auf uns wohl
abends Mahl und Trank?
So mag es einst geklungen haben
wenn man nach Worten suchte
für das was man auf Reisen
so tief empfand
Den Wunsch nach Schweinebraten
und nach Bier
und ein bequemes Bett zur Nacht
nach langer Wanderung
und wundem Fuß
Den postmodernen Menschen
erheitern diese Verse nur
er schaut ins Tal hinunter
gewahrt der Lichter Glanz
befragt noch mal den Michelin
und lenkt den Schritt
auf die Drei Sterne hin
Nach einer Konferenz in Travemünde
allein ins Bett zu gehn
erschien mir eine Sünde
du fehltest mir so sehr
Ihr werdet mich verstehn
ich hatte gute Gründe
mich anders umzusehn
die tristen Männerbünde
verstärkten nur noch mehr
mein Verlangen
nach Verkehr
Vergebliche Hoffnung in der
Kathedrale von Valencia
Gierig küsst der Papst den Gral
und hofft, das lindert seine Qual
Allein, es hat ihm nichts gebracht
Der Herr hat müde nur gelacht
Er findet: das geschieht dem recht
mal hat sich’s eben ausgezecht
Prag, im Juli ’93
(unter Mithilfe von Clemens Brentano)
Ich streife durch die Gassen
mein Schatz ist ausgeblieben
ich kann sie noch nicht lassen
ich bin so ganz allein
In Lieben wohnt Betrüben
das ist mir zugelost
und kann nicht anders sein
und bin doch ohne Trost
Abend im Bremer Bürgerpark
Das Känguruh
geht nun zur Ruh,
das Zebu macht die Augen zu.
Es träumt vom schwarzen Afrika
schon längst das müde Zehebra.
Und auch das Lama
wird immer zahmer.
Der Esel legt die Ohren an,
still wird’s auf allen Wegen.
Das Meerschwein betet himmelan:
Bewahr' den Park vorm sauren Regen
Beim Bier am Bahndamm in Bremen
im "Stillem Frieden"
„Im Stillen Frieden“ sitzen wir hier
bei Bratkartoffeln, Sülze und Bier.
Die Vögel zwitschern konzertant
unter den Bäumen alle entspannt.
Über uns rauschen die Züge vorbei
wir reden von diesem und jenem und allerlei.
Im Garten verfliegen die Stunden
jeder spendiert mal die Runden.
Jetzt fängt es schon an zu dunkeln
die ersten Sterne funkeln.
Die Wirtin bringt eben das sechste Bier
wir sitzen noch immer hier.
Sonntagmorgen in Williamstown, Mass.
Blendend weiß
auf leichter Anhöhe das Haus
antiker Portikus
mit schlanken Säulen
das satte Grün des perfekt geschnittenen Rasens
kein Zaun zur Straße
am Mast die unvermeidlichen stars and stripes
Die mainstreet
glänzt am Sonntagmorgen
vor Behaglichkeit und Gottvertrauen
Es riecht weithin
nach Kaffee
und warmem Gebäck
Mit frischem Hemd
lehnt der Ober
an der offenen Tür des Cafès
und grüßt Bekannte
die auf dem Weg zur Kirche sind
Hinter meiner Zeitung
gerate ich ins Träumen
Wer wären wir
Du und ich
ruhten wir hier aus
am Abend
auf einer der Terrassen
in den geflochtenen Schaukelstühlen
versunken in den Anblick
der grünen Hügel von Vermont
die sich gerade in der Dämmerung auflösen?
Gedächten wir
vielleicht der Kinder
irgendwo in fremden Städten
oder redeten wir über das Unglück
des Nachbarn vom Vortage?
oder träumten wir gar
angesichts eines braungebrannten Fremden
der kurz hinüberblickend
vorbei eilt
vom nicht gelebten Leben?
Anything else, Sir?
No, thank you.
You’re welcome
The check, please
Berlin, Manteuffelstr. 23b revisited
Was blieb
ist der mit nichts
vergleichbare Duft der Linden
unter denen wir
im Sommer
am Bordstein saßen
zu Tode gelangweilt
kurz nach dem Krieg
Elfjährige Jungs
die kleine Steine auf die
Straßenkante gegenüber warfen
bemüht nicht
das Kopfsteinpflaster zu treffen
von dem die Kiesel weg sprangen
ins Nichts
und schon war es abends
Wien, Leopoldstadt
Ging durch die leeren Gassen
eines Dezembermorgens
auf der Suche nach Spuren
des vertriebenen Volkes
das hier gelebt hatte
gestritten und gesorgt
geweint und gelacht
einst angekommen
am Nordbahnhof mit Hoffnungen
(unter ihnen auch Vater Freud
der sich dann
in der Pfeffergasse niederließ)
Fand zwischen den schon wieder
zerfallenen Sozialbauten
den Weg in die Vergangenheit
versperrt
keine Zeichen mehr
kein Handel mit Tuch
kein masel tow
nichts
Fand schließlich
auf dem alten Friedhof
eine große tote Ratte
vergiftet verhungert
erfroren
was weiß ich
zusammengekrümmt lag sie da
Mitleid heischend
Im Maul des Dibbuk
aber steckten wieder
gefaltete kleine Zettel
Hoffnungsträger
Über mir
erhob sich
krächzend
ein Krähenschwarm
aus den alten Kastanien
und suchte das Weite
Cordoba, Ostern 1992
Der Andalusier versalzt alle Speisen
Der Andalusier serviert zu hastig
Der Andalusier schlägt seine Zigarre in Wasser ab
Der Andalusier littert wie nix Gutes
Leider ist meistens alles aus was man will
Der Andalusier ist fromm
1. als andalusische Witwe
2. als Kegelmütze mit Kerze
Aber: der Andalusier schenkt den Cognac ein:
al abondante
Andalusien ist ein schönes Land
Frage beim Blick aus dem Zug
Zwischen Bassum und Bohmte
genießen die Schweine
die ersten Sonnenstrahlen
wohlig wälzen sie sich
auf den wieder ergrünten Wiesen
unter der blühenden Kirschbäumen
Bin ich alt geworden
oder
warum trifft mich der Frühling
so wehrlos?
Madrider Elegie
Im Oktober
noch glatte zwanzig Grad
beim Fundador
auf der Plaza Mayor
Morgen schon weiter nach Norden
ich könnte den glatt ermorden
der dafür was kann
Ein Tag am Mittelmeer
Un giorno al mare
un giorno con te
Ein Tag an der See
Ein Tag nur mit dir
Der Sand ist schon warm
Ich hab dich im Arm
Du zeigst mir die Muschel
und ich dir den Stein
Ich öffne die Knospe
Du holst Dir den Seim
Un giorno al mare
un giorno con te
Ein Tag an der See
ein Tag nur mit dir
die Woge erfasst uns
und trägt uns davon
schaumweiß ist die Brandung
wie wirbelnder Schnee
Un giorno al mare
un giorno con te
Ein Tag an der See
ein Tag nur mit dir
wir schaun in den Himmel
azurblau und klar
der Strand ist verlassen
die Boote sind leer
un giorno als mare
un giorno con te
Im München, im englischen Garten
In München, im englischen Garten
sah ich die harten
Mannsbilder und auch die zarten
wie sie bei Bier und bei Karten
den Abend erwarten
die Damen war’n die Genarrten
Hamburg, Nagels Bodega
Zum Beispiel
der Blick aus Nagels Bodega
an einem Sonntagnachmittag
wenn sich im trüben Dezemberlicht
der Regen mit Schnee mischt
und die graue Bahnhofsmasse gegenüber
allmählich mit der Dämmerung verschmilzt
Im sanften Licht
glänzen die Brände von Korn und Wein
hinter der Theke
die Ober bevorzugen die randlose Brille
und den Spitzbart
immer korrekt
vom Publikum kann man das weniger sagen
gemischt ist eher
eine übertriebene Einschätzung
Auf dem Männerklo tobt ein
erbitterter Krieg zwischen Faschisten und Antifa,
aber nur schriftlich
Wenn der dritte Hennessy aufsteigt
und sich hinter der Hirnschale sanft ausbreitet
schließt sich der Riss
der in der Welt ist
für einen kurzen Augenblick
Am Westsee von Hangzhou, China
Morgendunst verhüllt noch die Berge am Westsee
Noch schlafen
Im Schutz ihrer Bäume
Die kleinen Fledermäuse
Die mich am Abend so munter umschwirrten
Wie fern sind meine Kinder von mir
Al cuoco del „Vecchia Varenna“
Primo i giardini di Villa Cipressi
Secondo i filetti di pesce persico con riso
com’è vicino il paradiso
a mezzogiorno
sulla terrazza del «Vecchio Varenna»
Am südlichen Meer
An den südlichen Meeren
begeistert dich das Licht
eine ewige Bläue spiegelt
dein sonnenverbranntes Gesicht
und du vergisst wer du bist
An den nördlichen Meeren
regiert stattdessen die Melancholie
das ist doch auch ein ganz schönes Gefühl
und zeugt noch dazu von Esprit
Am südlichen Meer (2. Versuch)
An den südlichen Meeren
begeistert das Licht
verneint eine ewige Bläue
die nebelverhangene Sicht
An den nördlichen Meeren
regiert stattdessen die Melancholie
auch das ist ein schönes Gefühl
aber schon nah an der Pathologie
Erlebnis in Rio de Janeiro
In Rio wurd' ich beklaut,
ein Beutel, ein Buch, eine Kappe.
Erst hat's mir die Laune versaut,
hab’ bös mich beschwert.
Doch dann sagt' ich zu mir:
„Halt bloß die Klappe!
Das ist kein Zuckerhut wert.
Vergiß' es und trink Dich ein Bier."
Am Hafen von Sanary sur Mer
Im Café La Marine
sind sie alle gesessen:
der Brecht und die Manns,
die Alma mit ihrem Franz,
Feuchtwangers ihre entourage,
selbst Bruno, der „Gutmensch" Frank
haben dort getrunken, gestritten, gesungen
sind am Ende alle gottseidank
dem Hitler von der Schippe gesprungen
Taroudant, Marokko
O Taroudant
mauerbewehrte
lehmbraune Stadt
in der Ebene des Souss
von der Hitze versehrte
Gassen und Märkte
wo ich auf den Karren Deiner Händler
die reinen Farben des Lichts wieder fand:
das unwahrscheinliche Gelb der Honigmelonen
Orangen zu Pyramiden gehäuft
und das glühende Rot der reifen Tomaten
so leuchtet mir
vom Morgen zum Abend
der vergehende Tag
der Sonne sei dank
Schlaflos in Tokio
Erwacht in Tokio in der Nacht
bin ich um den Verstand gebracht.
Bei Licht beseh’n, also am Tage,
ereilt mich glatt die gleiche Plage.
Nun fragen Sie: warum noch bleiben?
Die Antwort lautet: Lust am Leiden
Lanka Devi
(für Basil Fernando)
Reife Frucht vom Mangobaum
gefallen vom Indischen Stamm
in die Bengalische See
ein Duft nach Zimt in alten Zeiten
heutzutage ein strenger Geruch
nach getrocknetem Fisch
an den Stränden von Negombo
eine Attacke auf die Geruchsnerven
aber unentbehrlich
um den Reis des Volkes zu würzen
In den Zeitungen schreiben sie
dass hundert Polizeioffiziere
aus dem Dienst entlassen wurden
weil sie an Folterungen beteiligt waren
zehn Jahre zuvor
eine Fußnote
in der zweitausendfünfhundertjährigen Geschichte
der Insel
die übervoll ist von Glanz und Elend
und den Furien des Krieges
WEITERES
Die Sonne von Mexiko
(Hommage für Dylan Thomas)
Wie gehe ich denn in diese Gute Nacht wenn es Zeit ist abzutreten?
Gelassen oder,
wie Dylan Thomas von seinem Vater forderte,
mit Zorn und mit Widerstand
gegen das aufgezwungene, niemals gewollte Ende?
Ach, Dylan, wie wir Dich feierten
eines Nachts in den Sechzigern
in einer Hurenkneipe in Frankfurts Breiter Gasse,
da warst Du schon zehn Jahre bei den Würmern,
die Damen lachten verständnislos,
als wir uns erhoben,
Dir zu Ehren,
und uns volllaufen ließen in
Deinem Namen,
und dann weiter zogen in die „Sonne von Mexiko",
wo wir am Pissbecken stehend
den kaputten Legionären zuhörten,
die von Vietnam und Algerien erzählten,
um früh morgens
schwankend die leere Zeil zu überstehen
bis endlich die Alte Gasse erreicht war
Wie; Dylan, hast Du es gehalten,
als es zum Ende kam und Du, kaum vierzig,
erschöpft, nicht mehr weiter konntest?
War da nicht doch etwas wie Erleichterung im Spiel?
Unterm Reetdach auf Spiekeroog
Im Innern des Kopfes lebten wir
taglang nachtlang
Das Schilfrohr auf unserem Schädel schützte uns
vor dem Sturm
Der Regen schlug vergeblich gegen unsere Augen
aus Glas
Kaum unterschieden wir Brandung
und den Winden in den Föhren
Im Innern des Kopfes lebten wir
taglang nachtlang
und sahen tief in uns hinein
Vergessenes stieg auf und
füllte den Raum
Vor uns versammelte sich
unsere Kindheit
und die Angst der ersten Tage
Wir erkannten einander als
Vater und Mutter
als Bruder und Schwester
Aber wir brachen den Bann in unseren
Umarmungen
Einander liebend ließen wir die Kindheit
hinter uns zurück
und näherten uns tastend uns selbst
Im Innern des Kopfes lebten wir
taglang nachtlang
und ließen uns von Umarmung zu Umarmung
klaren Kopfes ins Ungenaue fallen
Wir tauchten ein in verborgene
Zonen der Lust
Und unsere Worte stürzten uns
in Träume
von denen wir bleischwer
und voll neuer Sehnsucht nacheinander
erwachten
Im Innern des Kopfes lebten wir
taglang nachtlang
zwischen Wasser und Himmel auf schwarzem Sand
den der Wind über den Strand trieb
Nachts
während das Meer die Dünen bedrängte
Und die Insel im Sternenlicht
lautlos vom Abend zum Morgen trieb
zitterten wir manchmal
vor Glück
Frühling am Osterdeich
Morgensonne, Weserstrand
laue Lüfte weh’n herüber
wärmen mir die alten Glieder
Frühling sät am Wegesrand
schon den ersten Blütengruß
in den Poren steigen Säfte
ich verspüre neue Kräfte
locker regt sich Hand und Fuß
Himmel, jeder Augenblick
schmeckt nach Hoffnungsglück
Abend im Bremer Bürgerpark
(für die Nashornkinder der Schule Hermannsburg)
Das Zebu macht die Augen zu.
Das Nashorn geht nun auch zur Ruh.
Es träumt vom schwarzen Afrika
schon längst das müde Zehebra.
Und auch das Lama
wird immer zahmer.
Bettreif sind auch die Ziegen
doch woll'n sie noch nicht liegen.
Der Esel legt die Ohren an,
still wird’s auf allen Wegen.
Das Meerschwein betet himmelan:
Bewahr' den Park vorm sauren Regen.
Gestern im ICE nach München
In den Zeitungen wieder Neues
von pädophilen Priestern
Im Speisewagen
mir gegenüber zwei Nonnen
die Rotwein trinken
Es gibt doch Alternativen
Schau in den nächtlichen Garten
Schau in den nächtlichen Garten
unergründlich die alten Bäume
die dich überleben werden
himmelwärts das Sommerdreieck
Deneb im Schwan
Atair im Adler
Wega in der Leier
unvorstellbare Lichtjahre entfernt
und doch so vertraut
"Die Natur hat sich den Menschen erschaffen,
um mit sich selbst ins Gespräch zu kommen"
Worüber reden wir heute Nacht?
CORONA Frühling 2021
(nach Eduard Mörike)
Frühling lässt sein blaues Band
flattern über ein erstarrtes Land.
Nur die Amseln tirilieren
und die Asseln geh'n spazieren,
während Kranke ventilieren.
Frühling lockt mit süßen Düften,
aber niemand schwenkt mehr seine Hüften.
Musst gekränkt nun akzeptieren:
Bist ein Tier nur unter Tieren,
fürchtest Deinen Status zu verlieren.
Frühling, Dich hab ich vernommen!
Aber keiner ist gekommen.
In der Nahrungskette dominieren
über uns die schlauen Viren,
die von uns jetzt profitieren.
Frühling, ja Du bist's!
überfielst uns diesmal voller Arg und List.
.
Schon von Freud, Kopernikus und Darwin dezentriert,
sind wir Menschen jetzt schon wieder voll blamiert.