In diesem Blog erscheinen in unregelmäßigen Abständen Texte, die das Wissen über aktuelle und zeitlose Themen behandeln.
Die vorletzten Tage der Menscheit?
Das dystopische Szenario
Teil 1
„Die heutige Menschheit verspürt
die unterschwellige Versuchung,
sich zu vernichten.“
Elsa Morante, 1974
„Folge der Spur des Geldes!“
Giovanni Falcone
I. Die Bedrohungslage
Eine Auslöschung fast allen Lebens auf dem Planeten hat es in der Erdgeschichte schon mehrfach durch Naturkatastrophen gegeben, zuletzt vor 66 Millionen Jahren nach dem Einschlag eines großen Asteroiden in Yucatan und der folgenden etwa dreißigjährigen Verdunkelung der Erdatmosphäre durch den Ausstoß gewaltiger Mengen von Staub und Asche. Geschätzt 75% aller lebenden Tier- und Pflanzenarten starben aus. Beim Zusammenbruch und Untergang bedeutender Zivilisationen in der Vergangenheit vermuten viele Paläontologen, Archäologen und Historiker inzwischen, dass die Ursachen zu einem wesentlichen Teil in Zusammenhang mit Klimaveränderungen und der Unfähigkeit der Menschen, damit umzugehen, zu suchen sind. Einige Beispiele dafür sind das Ende des Reiches der Khmer in Angkor Wat, die Reiche der Azteken und Maya oder der Hethiter in Kleinasien. Heute, im Anthropozän, scheint es, dass die Menschheit durch die fortgeschrittene globale Vernetzung erstmals in die Lage gekommen ist, ihr Ende durch die Zerstörung ihrer natürlichen Lebensbedingungen selbst herbei zu führen.
Die wissenschaftlichen und technischen Innovationen, die unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen im 18. und vor allem im 19. Jahrhunderts zum Durchbruch gekommen sind, lösten die seit der Sesshaftwerdung der Menschheit vorwiegend agrarisch und handwerklich bestimmten Produktions- und Lebensweisen, wenn auch regional ungleichzeitig, weitgehend ab. Damit setzte eine erste Beschleunigungsphase der wichtigsten Wachstumsindikatoren ein. Unterbrochen wurde diese Entwicklung nur kurz von 1914 bis 1945, geschuldet den beiden Weltkriegen und der mühsamen Regeneration in der Zwischenkriegszeit, wo eher eine Stagnation im Beschleunigungstempo eintrat. Ab 1945 setzte dann eine umso rasantere Beschleunigung ein: die „great acceleration“ (wie es die Erdsystemforschung nennt), Alle relevanten Indikatoren des globalen Ökosystems schnellten exponentiell in die Höhe: Wirtschaftswachstum, Bevölkerungswachstum, Ausbeutung der fossilen Energien und lukrativer Mineralien, Massenkonsum, Wasserverbrauch und Abwasseranfall, Düngemittelanwendung, Kunststoffprodukte, Abfallmengen, energiegetriebene Mobilität, Massentourismus etc... In allen gesellschaftlichen, aber auch in vielen privaten Bereichen galt die Devise: „mehr und noch mehr“. Diese dem Kapitalismus unabdingbare. inhärente Steigerungslogik brachte zwar ab den siebziger Jahren das Thema „Grenzen des Wachstums“ auf die politische Agenda, aber mittel- und langfristig ohne durchschlagenden Erfolg..Allerdings vollzogen sich diese Prozesse in den Weltregionen extrem ungleichzeitig und mit ungleicher Intensität, was die Zunahme des Wohlstands betraf, der einseitig zugunsten der industriell entwickelten Gesellschaften und einiger Schwellenländer, die auf dem Weg dazu waren, ausfiel. Während sich die folgenreiche Übernutzung des Naturkapitals vollzog, stieg in großen Teilen Asiens, Afrikas und Südamerikas das Bevölkerungswachstum stark an und es steigt noch weiter an, wobei dort messbare Wohlstandsgewinne weitgehend ausbleiben. Periodisch breiten sich sogar Hungersnöte aus. Die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen und innerhalb der Staaten vertiefte sich durch die negativen Folgen dieser Beschleunigungsdynamik.
Man kann derzeit insgesamt neun zentrale Krisenszenarien erkennen, die nicht als getrennt voneinander existierende Krisenphänomene betrachtet werden dürfen. Sie bilden ein System wechselseitiger Abhängigkeiten und Einflussnahmen, das die menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebensbedingungen auf dem Planeten bedroht:
Die durch Menschen verursachte Erderwärmung mit dem Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre (Klimawandel). Das Umweltprogramm der UN hält inzwischen einen Anstieg des Treibhausgasausstoßes (CO2 Emissionen) und damit eine Erwärmung der Erde aktuell auf 3,1 Grad möglich (im letzten Jahr allein +1,3%). 1,7 Grad sind 2025 offenbar bereits erreicht. Erforderlich wäre eine Senkung um 7,1% damit die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Die letzten Jahre zeigten eine kontinuierliche Erwärmung in den meisten Regionen des Planeten. Ursachen für diese Entwicklung sind hauptsächlich die ungebremste Zunahme der Verbrennung fossiler Ressourcen: Kohle (incl. Braunkohle), Gas, Erdöl (wobei die G-20 Staaten für 80% davon verantwortlich sind, die Afrikanische Union nur für 5%). Weltweite Treiber sind - über die Verbrennung fossiler Stoffe hinaus - die Abholzung der Regenwälder und die Zerstörung der ozeanischen Ökologie. Bereits sichtbare Folgen sind u.a. das Abschmelzen von Polkappen und von Gletschern, was zur Erwärmung der Meere und so zu Veränderungen der Wind- und Meeresströmungen führt. Damit werden in den Ozeanen wichtige ökologische Zusammenhänge zerstört (vor allem beim Phytoplankton und bei den Korallen). An Land bedeutet das vermehrte Hochwasser, Überschwemmungen und Schlammlawinen, aber auch vermehrte und stärkere Sturmereignisse durch die Erwärmung der Ozeane ((Hurricane und Monsune). Die maximalen Windgeschwindigkeiten erhöhen sich von Jahr zu Jahr. Extremwetterlagen haben sich seit 1970 verfünffacht, die Kosten sind um den Faktor 7 gestiegen. Erosion, längere Dürrezeiten mit zunehmend mehr und größeren Waldbränden, sowie die Austrocknung von Seen und Flüssen in einigen Regionen der Erde gehören ebenfalls zu den unübersehbaren Folgen des Klimawandels.
Die drastische Abnahme der Biodiversität (drei von vier Wildtieren sind bereits verschwunden, 85% des Fischbestandes ist seit 1970 in Flüssen und Seen zurückgegangen. Insbesondere bei Vögeln und Insekten ist die Aussterberate hoch). Hauptursache ist die weltweite Zunahme der düngerintensiven Agrarindustrie, der Abholzung der Wälder und der zunehmenden Versiegelung der Böden, die die Lebensräume der Tiere einengt, vergiftet und zerstört, und damit die genetische Vielfalt gefährdet.
Die Verschmutzung der Flüsse und Ozeane durch den zunehmenden Eintrag von Düngemitteln und anderen Schadstoffen geht zu Lasten der dortigen Fauna und Flora mit Rückwirkungen auf die terrestrischen Zonen.
Die stark zunehmende Produktion von Plastik, das zu 90% nicht recycelt wird, verschmutzt die Ozeane und Flüsse mit Plastikresten und Mikroplastik, was negative Folgen für die dortige Biodiversität und die Trinkwasserqualität hat. Angesichts der Weigerung der Erdöl- und Plastikproduzenten (v.a. Russland, Golfstaaten ect.) Reduzierungen zuzustimmen, wachsen die Probleme ständig.
Die zunehmende Gefahr von Pandemien durch die enge Verflechtung der Handels- und Reiseströme hat sich bereits gezeigt.
Die periodisch wiederkehrenden Krisen des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems mit den Gefahren von regionaler Verelendung durch die immense Vernichtung von Kapital und deren soziale Folgen.
Die Zunahme der klimabedingten Flüchtlingsströme aus den abgehängten Regionen der Erde und die anhaltende Ungleichheit der Lebensverhältnisse trifft auf die Abschottungspolitik der Einwandererstaaten gegen die Migration und spaltet Gesellschaften.
Die geopolitischen Veränderungen, verursacht durch den Machtzuwachs autoritärer und diktatorischer Regime zu Lasten demokratischer Systeme mit der Folge der Zunahme zwischenstaatlicher, kriegerischer Auseinandersetzungen und innerstaatlicher Bürgerkriege, rückt den Klimaschutz an den Rand der Wahrnehmung.
Die Medien in all ihren Erscheinungsformen sind in ihrer Mehrheit der Verbreitung der Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation keineswegs besonders zugetan. Insbesondere in den sozialen Medien werden die drohenden Gefahren durch nicht geprüfte Informationen, fake news, Gerüchte und Verschwörungstheorien geleugnet oder herunter gespielt. .
Außerdem können natürlich nicht-menschlich verursachte Krisen in der Natur jederzeit auftreten und Opfer fordern: Vulkanausbrüche, Erdbeben, Zusammenstöße der Erde mit größeren Asteroiden aus dem Weltall, Ereignisse auf der Sonne. Die Folgen wären dann je nach Ursache z.B. eine Verdunkelung des Sonnenlichts mit länger anhaltenden Temperaturstürzen, die die Nahrungsproduktion, das soziale Zusammenleben der Menschen und das Aussterben von Arten befördern würden. Im Fall von heftigen Erdbeben ist mit größeren Verlusten von Menschen und Siedlungen auf regionaler Ebene zu rechnen.
II. Wahrnehmung der Bedrohungen
Die Wahrnehmung der Bedrohungen stößt aus mehreren Gründen an Grenzen. Der größte Teil der Menschen auf dem Planeten lebt inzwischen in Städten. Dort sind die Bedrohungen nur begrenzt und unmittelbar persönlich erfahrbar, es sein denn die Auswirkungen kriegerischer Konflikte machen sich bemerkbar. Normalerweise beschränken sich die Erfahrung auf zunehmende Erwärmung, veränderte Jahreszeiten und Folgen für den eigenen Wohlstand als Resultat teilweise gestiegener staatlicher Ausgaben im Bereich von Nachhaltigkeitspolitiken, die die Etats und ihre Verteilung betreffen (Energiewende, Auflagen für Ökonomie und Landwirtschaft etc.). Diese Bedrohungserfahrungen lassen sich zumeist durch Anpassungsverhalten noch minimieren
Das liegt auch an der zeitlich schleichenden Form der Katastrophenentwicklung, die bei einer Mehrheit der Bevölkerung eine relative Wahrnehmungsdistanz zu den Folgen des Klimawandels bewirkt. Unmittelbare Betroffenheit erleben lediglich Menschen von dicht bewohnten lokalen oder regionalen Sektoren, die durch Überschwemmungen, Waldbrände, Erdbeben oder Vulkanausbrüche bedroht sind. Ernsthaft wahrgenommen werden die bevorstehenden Umbrüche nur von den damit beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Minderheit derjenigen, die solche Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen, sie für glaubwürdig halten oder sich an Aktionen zur Gegenwehr beteiligen.
Schließlich ist neben der mangelnden Bildung, die in vielen Kontinente die Wahrnehmung der drohenden Katastrophe verhindert, die ambivalente Haltung von Medien die mit Desinformationskampagnen, die den Leugnern der Bedrohungen Raum geben und Verschwörungstheorien verbreiten. Gefährlich in diesem Sinne sind auch Politiker, die sich dem anschließen, insbesondere in autoritären Sytemen und im rechtsextremen Spektrum. Sie bilden ein weiteres gefährliches Moment, das einer breiten Aufklärung entgegensteht.