Eberhard Schmidt
Die vorletzten Tage der Menschheit ?
Ein dystopisches Narrativ
„Die heutige Menschheit verspürt
die unterschwellige Versuchung,
sich zu vernichten.“
Elsa Morante, 1974
„Folge der Spur des Geldes!“
Giovanni Falcone
Eine Auslöschung fast allen Lebens auf dem Planeten hat es in der Erdgeschichte schon mehrfach durch Naturkatastrophen gegeben, zuletzt vor 66 Millionen Jahren nach dem Einschlag eines großen Asteroiden in Yucatan und der folgenden etwa dreißigjährigen Verdunkelung der Erdatmosphäre durch den Ausstoß gewaltiger Mengen von Staub und Asche (geschätzt 75% aller lebenden Tier- und Pflanzenarten starben aus). Beim Zusammenbruch und Untergang bedeutender Zivilisationen in der Vergangenheit vermuten viele Paläontologen, Archäologen und Historiker inzwischen, dass die Ursachen zu einem wesentlichen Teil in Zusammenhang mit Klimaveränderungen und der Unfähigkeit der Menschen, damit umzugehen, zu suchen sind. Einige Beispiele dafür sind das Ende des Reiches der Khmer in Angkor Wat, die Reiche der Azteken und Mayas oder der Hethiter in Kleinasien. Heute, im Anthropozän, scheint es, dass die Menschheit durch die fortgeschrittene globale Vernetzung erstmals in die Lage gekommen ist, ihr Ende durch die Zerstörung ihrer natürlichen Lebensbedingungen selbst herbei zu führen.
Die wissenschaftlichen und technischen Innovationen, die unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen im 18. und vor allem im 19. Jahrhunderts zum Durchbruch gekommen sind, lösten die - seit der Sesshaftwerdung der Menschheit - vorwiegend agrarisch und handwerklich bestimmten Produktions- und Lebensweisen, wenn auch regional ungleichzeitig, weitgehend ab. Damit setzte eine erste Beschleunigungsphase der wichtigsten Wachstumsindikatoren ein. Unterbrochen wurde diese Entwicklung nur kurz von 1914 bis 1945, geschuldet den beiden Weltkriegen und der mühsamen Regeneration in der Zwischenkriegszeit, wo eher eine Stagnation eintrat. Ab 1945 setzte dann eine umso rasantere Beschleunigung ein: die „great acceleration“ (wie es die Erdsystemforschung nennt), Alle relevanten Indikatoren des globalen Ökosystems schnellten exponentiell in die Höhe: Wirtschaftswachstum, Bevölkerungswachstum, Ausbeutung der fossilen Energien und lukrativer Mineralien, Massenkonsum, Wasserverbrauch und Abwasseranfall, Düngemittelanwendung, Kunststoffprodukte, Abfallmengen, energiegetriebene Mobilität, Massentourismus etc... In allen gesellschaftlichen, aber auch in vielen privaten Bereichen galt die Devise: „mehr und noch mehr“. Diese Steigerungslogik brachte zwar ab den siebziger Jahren das Thema „Grenzen des Wachstums“ auf die politische Agenda, aber mittel- und langfristig ohne durchschlagenden Erfolg..
Allerdings vollzogen sich diese Prozesse in den Weltregionen extrem ungleichzeitig und mit ungleicher Intensität, was die Zunahme des Wohlstands betraf, der einseitig zugunsten der industriell entwickelten Gesellschaften und der Schwellenländer, die auf dem Weg dazu waren, ausfiel. Während sich die folgenreiche Übernutzung des Naturkapitals vollzog, stieg in großen Teilen Asiens, Afrikas und Südamerikas das Bevölkerungswachstum stark an und es steigt noch weiter an, wobei dort messbare Wohlstandsgewinne weitgehend ausbleiben. Periodisch breiteten sich sogar Hungersnöte aus. Die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen und innerhalb der Staaten vertiefte sich durch die negativen Folgen dieser Beschleunigungsdynamik.
Man kann derzeit insgesamt sieben zentrale Krisenszenarien erkennen, die nicht als getrennt voneinander existierende Krisenphänomene betrachtet werden dürfen. Sie bilden ein System wechselseitiger Abhängigkeiten und Einflussnahmen, das die menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebensbedingungen auf dem Planeten bedroht:
Die durch Menschen verursachte Erderwärmung mit dem Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre (Klimawandel). Das Umweltprogramm der UN hält inzwischen einen Anstieg des Treibhausgasausstoßes (CO2 Emissionen) und damit eine Erwärmung der Erde aktuell auf 3,1 Grad möglich (im letzten Jahr allein +1,3%). Erforderlich wäre eine Senkung um 7,1% um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Ursachen für diese Entwicklung sind hauptsächlich die ungebremste Zunahme der Verbrennung fossiler Ressourcen: Kohle (incl. Braunkohle), Gas, Erdöl (wobei die G-20 Staaten für 80% davon verantwortlich sind, die Afrikanische Union nur für 5%). Weltweite Treiber sind - über die Verbrennung fossiler Stoffe hinaus - die Abholzung der Regenwälder und die Zerstörung der ozeanischen Ökologie. Bereits sichtbare Folgen sind u.a. das Abschmelzen von Polkappen und von Gletschern, was zur Erwärmung der Meere und so zu Veränderungen der wind- und Meeresströmungen führt. Damit werden in den Ozeanen wichtige ökologische Zusammenhänge zerstört (vor allem beim Phytoplankton und bei den Korallen). An Land bedeutet das vermehrte Hochwasser, Überschwemmungen und Schlammlawinen, aber auch vermehrte und stärkere Sturmereignisse durch die Erwärmung der Ozeane ((Hurricane und Monsune). Die maximalen Windgeschwindigkeiten erhöhen sich von Jahr zu Jahr. Extremwetterlagen haben sich seit 1970 verfünffacht, die Kosten sind um den Faktor 7 gestiegen. Längere Dürrezeiten mit zunehmend mehr und größeren Waldbränden, sowie die Austrocknung von Seen und Flüssen in einigen Regionen der Erde gehören ebenfalls zu den unübersehbaren Folgen des Klimawandels.
Die drastische Abnahme der Biodiversität (drei von vier Wildtieren sind bereits verschwunden, 85% des Fischbestandes ist seit 1970 in Flüssen und Seen zurückgegangen. Insbesondere bei Vögeln und Insekten ist die Aussterberate hoch). Hauptursache ist die weltweite Zunahme der düngerintensiven Agrarindustrie, der Abholzung der Wälder und der zunehmenden Versiegelung der Böden, die die Lebensräume der Tiere einengt, vergiftet und zerstört, und damit die genetische Vielfalt gefährdet.
Die Verschmutzung der Flüsse und Ozeane durch den zunehmenden Eintrag von Düngemitteln und anderen Schadstoffen geht zu Lasten der dortigen Fauna und Flora mit Rückwirkungen auf die terrestrischen Zonen.
Die Zunahme der Flüchtlingsströme aus den abgehängten Regionen der Erde infolge des Klimawandels und der anhaltenden Ungleichheit der Lebensverhältnisse trifft auf die Abschottung der Einwandererstaaten gegen die Migration.
Die periodisch wiederkehrenden Krisen des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems mit den Gefahren von regionaler Verelendung, der Zunahme kriegerischer Konflikte, der immensen Vernichtung von Kapital und deren soziale Folgen.
Die stark zunehmende Produktion von Plastik, die zu 90% nicht recycelt wird, und die Ozeane und Flüsse mit Plastikresten und Mikroplastik verschmutzt mit schweren Folgen für die dortige Biodiversität und die Trinkwasserqualität. Angesichts der Weigerung der Erdöl- und Plastikproduzenten (v.a. Russland, Golfstaaten ect.) Reduzierung zuzustimmen, wachsen die Probleme ständig.
Die zunehmende Gefahr von Pandemien durch die enge Verflechtung der Handels- und Reiseströme hat sich bereits gezeigt.
Außerdem könnten nicht menschlich verursachte Krisen jederzeit auftreten: Vulkanausbrüche, Zusammenstöße der Erde mit größeren Asteroiden aus dem Weltall. Die Folgen wären dann eine Verdunkelung des Sonnenlichts mit länger anhaltenden Temperaturstürzen, die die Nahrungsproduktion, das soziale Zusammenleben der Menschen und das Aussterben von Arten befördern würden. Im Fall von heftigen Erdbeben ist mit größeren Verlusten von Menschen und Siedlungen zu rechnen.
Wie steht es um die Bemühungen, diese Entwicklung einzudämmen oder zu verhindern? Wer könnten die Akteure sein und wo liegen ihre Grenzen?
Appelliert wird vielerorts an die individuellen Akteure, an die Konsumenten. Sie sollen freiwillig Verzicht üben und ihre Konsumgewohnheiten ändern. Es sollen möglichst nur noch ökologisch verträgliche Waren und Dienstleistungen genutzt werden, die Abfallmengen vermindert und die Verbrennungsmotoren abgeschafft werden, kurz: der ökologische Fußabdruck jedes Einzelnen wäre zu reduzieren. Aber das stößt an enge Grenzen, da solche Produkte und Dienste in der Regel teurer sind und die Informationen darüber nicht überall ankommen. Menschen mit geringeren Einkommen werden sich das nicht leisten können oder solche Produkte sind gar nicht lieferbar. Außerdem lassen sich die Menschen nicht gerne vorschreiben, was sie konsumieren dürfen und was nicht. Staatlich vorgeschriebene ökologische Maßnahmen bei der Energieerzeugung oder im Verkehrsbereich stoßen oftmals auf heftigen Widerstand oder werden nur zögernd umgesetzt. Es sind also systemische Zwänge, die hier wirken, weshalb man es nicht zwingend den Individuen zu muten kann, sich klimagerecht zu verhalten. Die Verbreitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Voraussagen des Kimawandels motivieren nicht ausreichend Bevölkerungsmehrheiten zum Umsteuern, da die Reaktionen auf die Krisenphänomene oft nicht mit rationalen Haltungen beantwortet werden, sondern bei einem Großteil der Bevölkerung, geschürt durch die sozialen Medien, gefühlsmäßig, ressentimentgeladen oder uninformiert ausfallen. Die Aktionen zivilgesellschaftlicher Akteure im Umweltsektor reichen bislang nicht aus, um dem drohenden Ökozid erfolgreich zu begegnen. Ihr Engagement gelangt, wenn es eine radikalere Form anstrebt, rasch an Grenzen der herrschenden Legalität, insbesondere des Rechts auf Eigentum und freie Entfaltung. In den letzten Jahren ist zudem die Zahl derer, die sich an Aktionen für den Umweltschutz beteiligten stark zurück gegangen Nicht nur bei den Parteien und der jüngeren Generation ist das Thema deutlich in den Hintergrund gerückt angesichts wirtschaftlicher Krisen mit Folgen für den persönlichen Wohlstand und Ängste um die persönliche Zukunft und die Sicherheit.
Die politischen Akteure, die sich auf nationaler Ebene für eine konsequente sozial-ökologische Transformation und nachhaltiges Wirtschaften einsetzen, insbesondere für die Eindämmung der Erderwärmung (Energiewende) und die Erhaltung der Biodiversität, also die grünen Bewegungen, sind überall deutlich in der Minderheit gegenüber schädlichen Modellen wirtschaftlichen Wachstums und deren Interessenvertreter. Die „Grünen“ zunächst als Idealisten belächelt, werden nun dort, wo sie tatsächlich Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen, als Störenfriede und Wohlstandsfeinde wahrgenommen. Obwohl einzelne Projekte und Maßnahmen, die von ihnen und mit ihnen verbündete NGOs angestoßen werden und lokal oder regional Verbesserungen ermöglichen, vermögen sie kaum, die notwendigen Maßnahmen im größerem Maßstab in den Parlamenten oder über eine Regierungsbeteiligung durchzusetzen. Der Widerstand gegensätzlich orientierter Parteien und Interessengruppen zwingt sie zu wenig effizienten Kompromissen. Unter Donald Trump werden die USA, der neben China weltweit größte Emissär von klimaschädlichen Schadstoffen, aller Voraussicht nach einen weiteren Schritt zurück zu vermehrter Nutzung fossiler Energien machen, und damit die Dekarbonisierungsbemühungen konterkarieren. Die vom Export von Öl und Gas profitierenden Ländern stemmen sich bis jetzt gegen jede Veränderungen zu ihren Lasten. Resultat ist die schwindende Legitimität der staatlichen Führung im Hinblick auf notwendige ökologische Reformen, weil sie die Verteilungskonflikte verstärkt. Die enormen Schuldenlasten vieler Staaten setzen darüber hinaus den Bemühungen um Nachhaltigkeit oft enge Grenzen. Von den zunehmend autoritär regierten Staaten und rechtspopulistischen Bewegungen/Parteien wird eine ökologische Wende in der Regel ohnehin nicht angestrebt. Die Geschichte der Menschheit vom Klima her zu denken ist denkbar unpopulär.
Die Bündnisse und Kooperationen auf transnationaler politischer Ebene (UN, EU, Weltklima- und Biodiversitätskonferenzen etc.) haben bislang nicht vermocht, über die wissenschaftlichen Berechnungen und die Analyse der drohenden ökologischen Katastrophen hinaus, entscheidende politische Maßnahmen zu initiieren, die eine ökologische Wende, die diese Bezeichnung verdienen würde, einleiten würden. Dazu würden in erster Linie auch ausreichende Klimaschutzbeiträge der Hauptverursacherstaaten von Treibhausgasen an die davon betroffenen Entwicklungsländer gehören, um deren Klimaschutzmaßnahmen voranzubringen. Dagegen stemmen sich Staaten, die vom Export von Kohle, Erdöl und Gas profitieren, aber auch bestimmte Staaten, die von sich in Anspruch nehmen noch zu den Entwicklungsländern zugehören (Beispiel: China trotz global höchsten Ausstoßes von klimaschädlichen Emissionen).
Die großen, global agierenden Techno- und Ölkonzerne betreiben in der Regel entweder nur ein Greenwashing ihrer ökonomischen Strategien, was wenig verändert, oder sie bekämpfen sogar alle Bemühungen einer ökologischen Transformation, weil sie davon finanzielle Nachteile befürchten und ihre Aktionäre nicht enttäuschen wollen. Über ihre Lobbys machen sie ihren Einfluss auf staatliche Organe und deren Gesetzgebung zumeist erfolgreich geltend, um ihre ökonomischen Spielräume zu schützen, auch wenn sie damit ersichtlich ökologische Krisen befördern (s. zuletzt das Shell-Urteil).
Hoffnungen, die sich auf neue, innovative Technologien, vor allem die Künstliche Intelligenz, richten, überschätzen vermutlich deren Potential für eine radikale ökologische Wende, zumal diese Technologien selbst enorme Energiebedarfe haben. In der Anwendung unterliegen sie den Funktionsgesetzen und Interessen der Großkonzerne. Sie können sich der kapitalistíschen Verwertung ihrer Produkte nicht einfach entziehen oder widersetzen.
Als Lösungsmöglichkeit für die Senkung der Erderwärmung werden vermehrt Methoden des Geoengineering angeboten (in Form des Versprühens großer Mengen kühlender Schwefelverbindungen in den Höhenschichten der Atmosphäre zur Reduktion der Sonnenlichteinstrahlung, als Verpressen derTreibhausgase in der Erde oder den Ozeanen). Selbst die Befürworter solcher Methoden weisen auf möglicherweise erhebliche Risiken und die enormen Kosten, die damit verbunden sind, hin (z.B. Zerstörung der Korallenriffe, Gefährdung der ozeanischen Ökologie etc.). Die Bedenken fasst Thomas Ramge zusammen: „Zunächst vermurkst die menschliche Gattung aus Gier und Dummheit genau das Klima, das es ihr ermöglicht hat, zu prosperieren, dann glaubt diese Gattung in ihrer Selbstherrlichkeit auch noch, das vorindustrielle Klima wieder herstellen zu können, indem sie am Thermostat des Erdsystems herumstellt.“
Zusammenfassend ist festzustellen: Es existieren drei entscheidende systemische Hindernisse, die vor allem dazu beitragen, dass die Menschheit den bevorstehenden Ökozid wohl nicht mehr verhindern kann, zumal er in einem schleichenden Tempo voranschreitet, sodass die Zusammenhänge für die Mehrheit der Menschen nur schwer oder gar nicht sichtbar werden. Die Bausteine der ökologischen Krise haben sich im Verlauf der letzten 2-3 Jahrhunderte seit der Industrialisierung aufgebaut und erscheinen nun in einem Maße verselbständigt und veränderungsresistent, dass ihre Überwindung kaum mehr realistisch erscheint.
Dabei handelt es sich erstens um die mächtigen Interessen der Nutzer und Vorteilsempfänger der kapitalistischen Ökonomie, die von staatlichen und überstaatlichen Gesetzgebungen geschützt werden. Sie widerstehen bislang erfolgreich allen Versuchen, die zerstörerischen Folgen ihres Handelns zu unterbinden (Externalisierungen werden den Verursachern nicht zugerechnet). Da es keinen ausreichenden Widerstand gibt, der sie daran hindern könnte, gelingt es ihnen immer wieder, die Ängste der Menschen vor der notwendigen Veränderung im Hinblick auf den Klimawandel zu mobilisieren und zu manipulieren. Dazu tragen die Massenmedien erheblich bei. Die vorwiegend technologische Problembearbeitung dieser Krisen und die Angebote zu deren Lösung stoßen unter den Bedingungen kapitalistischer Verwertung an kaum zu überwindende Grenzen.
Verbunden damit ist zweitens, was oft übersehen wird, die seit dem 18. Jahrhundert sich parallel dazu entfaltende Nationalstaatlichkeit, die die alten Monarchien und Imperien abgelöst hat. Die neuen Nationalstaaten sind oftmals zu erbitterten Konkurrenten geworden, die im wesentlichen nur das Wohl der eigenen Bevölkerung im Auge haben (geschweige denn das Tierwohl). Daran hat auch die Entkolonialisierung nichts geändert. Das Regierungshandeln der Staaten, auch in den Demokratien, wird letztlich von der national bestimmten Wohlstandsagenda geleitet. Damit widersetzt sich die Politik bislang erfolgreich einer effizienten Form der globalen Kooperation, die Voraussetzung wäre, um die ökologischen Transformationsprobleme zu lösen. Scheinbare Ausnahmen von dieser Entwicklung (Postnationalismus) wie die Europäische Union und andere supranationalen Bündnisse stoßen ebenso an deutliche Grenzen wie die Vereinten Nationen die über keine wirkungsvollen Sanktionsmechanismen verfügen, weil nicht zuletzt durch die Vetoregeln des Sicherheitsrats notwendige gemeinsame Maßnahmen zur Verhinderung der fortschreitenden Katastrophenszenarien ausgebremst werden. Auch das regelmäßige Scheitern der Umsetzung von supranationalen Konferenzbeschlüssen (z.B. Klima-, Bio- und Plastikkonferenzen) gehört hierher.
Drittens droht die ständig wachsende globale Ungleichheit der Einkommens- und Lebensverhältnisse die Spaltungstendenzen in den einzelnen Ländern zu vertiefen, sowohl innerhalb der einheimischen Bevölkerungen, als auch im globalen Maßstab. Die dadurch bedrohte soziale Kohäsion kann zu inneren Unruhen und vermehrten geopolitischen Konflikten führen. Das lenkt von Maßnahmen zur Eindämmung der globalen ökologischen Gefahren ab. Schichten mit höheren Einkommen verteidigen mit ihren Machtmitteln ihre Privilegien mit aller Härte. Das stärkt überall rechtspopulistische, nationalistische Kräfte. Demokratisch regierte Staaten geraten zunehmend unter Druck von autokratischen Systemen, die selbst keine wirksame Lösungen für eine ökologische Wende zu bieten haben. Aber auch die Demokratien driften aufgrund der Unerfüllbarkeit gegensätzlicher Ansprüche aus der Bevölkerung und den wirtschafts- und finanzpolitischen Interessengruppen in die ökologische Unregierbarkeit.
Dazu kommen die Interessen der weltweit agierenden Großkonzerne, die die nationalen Regierungen durch Ausnutzung der Konkurrenzsituation und durch Korruption zu ihren Gunsten beeinflussen und damit die Transformationsbestrebungen konterkarieren. Die Konflikte zwischen Staaten werden seit jüngstem wieder immer öfter in Form von kriegerischen Auseinandersetzungen ausgetragen, deren Ende und Folgen kaum absehbar sind. Neben nationalistischen Gebietsansprüchen, die zu Ressourcenerweiterungen über territoriale Eroberungen führen sollen, sind die Anlässe nicht selten religiös kaschierte Feindprojektionen, um Machtzuwachs zu erreichen. Sie provozieren den Ausbau von Sicherheitsinteressen, die sich präventiv gegen vermutete Angriffe wenden und damit die erforderlichen Ressourcen für die ökologische Wende blockieren. Am Ende könnten sogar Atomwaffen zur Anwendung kommen.
Maßnahmen, die das herrschende Wachstumsmodell verändern könnten, sollten dazu beitragen, die Erderwärmung anzuhalten oder wenigstens zu verlangsamen. Dazu müssten die relevanten Akteure in Politik und Gesellschaft die Verantwortung für die Fehlentwicklungen übernehmen und einen radikalen Mentalitätswandel einleiten, der den Abschied von einer Kultur des Konsumismus und Wachstumsstrebens beinhaltete. Im Einzelnen würde das eine globale Energie- und Verkehrswende erfordern, dazu einen Umstieg auf eine biologische Agrar- und Forstwirtschaft mit einem Stopp der Zerstörung der Biodiversität. Zu gewährleisten wäre eine Verzahnung von Klima- und Naturschutz, um bestehende Lebensräume zu erhalten (wozu unbedingt die Zuweisung eigener Rechte für die Natur und der erhebliche Ausbau von Schutzgebieten an Land und auf den Ozeanen gehören sollte). Erforderlich wäre eine Kreislaufwirtschaft, die dafür sorgt, die Abfallmengen der Produktion in hohem Maße wiederzuverwerten. Außerdem müssten diese Maßnahmen von einer entsprechenden Finanz- und Steuerpolitik begleitet werden, die die Ungleichheit der Lebensverhältnisse (national wie global) vermindern hilft. Besteuerung der Unternehmen, vor allem der Großkonzerne und den finanzpolitischen Akteuren wären notwendig.. Den Konzernen wäre nach dem Verursacherprinzip eine Beseitigung der von ihnen durch die Externalisierungsstrategien zu verantwortenden Umweltschäden aufzuerlegen bei gleichzeitiger Offenlegungs- und Sorgfaltspflicht ihrer Tätigkeiten. Eine gemeinsame Einigung der Staaten auf die Umsetzung konsequenter Umweltstandards ist schließlich ebenso eine Voraussetzung wie die endgültige Einstellung kriegerischer Konflikte. Aus Gründen der Klimagerechtigkeit wären die klimavulnerablen, ärmeren Staaten finanziell stärker als bislang zu unterstützen bei ihren Anstrengungen für klimaneutrale Entwicklungsvorhaben
Angesichts der aufgezeigten widerständigen Konstellationen spricht allerdings nicht viel dafür, dass sich eine derartige globale Vernunft bei einer kritischen Masse von Menschen durchsetzt, um das gegenwärtige Modell des Wirtschaftswachstums abzulösen und durch ein zukunftstaugliches Entwicklungskonzept zu ersetzen. Ändern müsste sich dazu auch die Kommunikation über den Klimawandel (insbesondere in den Medien).
Die Hoffnung, die Menschheit habe ja noch immer einen Ausweg gefunden, der ihre Erhaltung sichert, übersieht, dass frühere Krisen regional und lokal begrenzt blieben, aktuell aber angesichts der globale Dimension der vernetzten Krisenphänomene technologische, ökonomische und mentale Alternativen nicht mehr ausreichend zu greifen vermögen.
So ergibt sich eine düstere Zukunftsperspektive: die Katastrophe wird zwar in langsamen, oft für die Öffentlichkeit schwer sichtbaren Schritten fortschreiten und sich regional unterschiedlich auswirken, aber die Lebensbedingungen auf unserem Planeten werden sich fast überall sukzessive verschlechtern, mit der Aussicht auf einen finalen Kollaps, ein Ende der Zivilisationen, wie wir sie bisher kannten. Die Anzeichen dafür mehren sich bereits jetzt.
Oder wird es den folgenden Generationen gelingen, die Ignoranz der Mächtigen zu durchbrechen und die unerwartete Wende dennoch einzuleiten?. Bremen, November 2024
ANMERKUNGEN
Wegweisende Sachbücher zum Thema
Beckert, Jens: „Verkaufte Zukunft“. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht, Berlin 2024
Gebauer, Thomas/ Trojanow, Ilija: Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise, Frankfurt/Main 2018
Glaubrecht, Matthias: Vom Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten, München 2019
Harari,Yuval Noah: Nexus. Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz, München 2024
Hoege, Peter: Der Susan Effekt, München 2015, S.233-235
Kegel, Bernhard: Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen gegen den Klimawandel, Köln 2024
Kohn, Eduardo: How Forests Think, 2013 , deutsch: Matthes und Seitz, 2023
Maxton, Graeme, Maren Urner, Felix Austen: Globaler Klimanotstand: Warum unser demokratisches System an seine Grenzen stößt, Grünwald 2020
Overy, Richard: Warum Krieg?, Berlin 2024
Ramge, Thomas: Die Sonne dimmen. Wie Geoengineering die Menschheit vor der Klimakatastrophe retten kann, München 2024
Reckwitz , Andreas: Verlust. Ein Grundproblem der Moderne, Berlin 2024
Sala, Enric: The Nature of Nature, National Geographic. 2020
Simon, Fritz B.:Die Kommenden Diktaturen. Ein Worst-Case-Szenario, Heidelberg 2024
Urner, Maren, Wie Gefühle Politik machen, 2024
Wesche, Tilo: Die Rechte der Natur. Vom nachhaltigen Eigentum, Berlin 2023
Artikel
Kaube, Jürgen : „Alles dreht sich ums Scheitern“. Es ist höchste Zeit, die Menschheitsgeschichte vom Klima her zu denken. Gespräch mit dem Globalhistoriker Peter Frankopan, FAZ,13.5. 2023, S.9
Joachim Müller Jung: „Wir haben nicht mehr die Wahl“. Gespräch mit Klemens Tockner (Biodiversitätsforscher) und Johan Rockström (Erdsystemforscher), FAZ, 29.11. 2023 S.N1f.
Simon, Judith: Weltuntergang als Ablenkung. Diskussionspaper zur Risiken der KI, FAZ, 18.10. 2024, S. 13
Paret, Christoph: Wir leben nicht mehr lang, Die große Beschleunigung nach 1945, FAZ, 10.05. 2023, S. N3
Calliess, Christian, Hat die Naur eigene Rechte?, FAZ, 14.11. 2024 , S.7
Idel, Anita: Der folgenreiche Biss der Kuh. Die Landwirtschaft entwickelt sich zu ihrem eignen Totengräber, FAZ, 17.10. 2024, S.14
Drei von vier Wildtieren sind verschwunden, WWF-Bericht , 11.11. 2024, S.19
Mosbrugger, Volker: Regeneration muss den Preis vorgeben. Die Transformation zur Nachhaltigkeit wird nur durch Orientierung am Verursacherprinzip gelingen, FAZ 20.9. 2024, S.11
Thiel Thomas: Keine Zeit für Verzicht. Die Grenzen des Postwachstums, FAZ,31.07.2024, S. N4
Geinitz Christian: 1,5 Grad Ziel nicht mehr erreichbar. Bericht zur Weltklimakonferenz in Dubai, FAZ, 6.12.2023, S.15
Schwägele, Christian . Kühlgase für die Erde, FAZ 19.11.2024, S.10
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