Blog - Zeichen der Zeit
1. Naht das Ende der Menschheit ?
Das dystopische Szenario
2. Genesis und Geltung der Religionen
Vom Nutzen und von den Gefahren
einer Illusion
3. Zeitenwenden
Zur Geschichte des homo sapiens seit
seiner Wanderung "out of Africa"
1. Naht das Ende der Menschheit ?
Das dystopische Szenario
„Das Klima ist
wütende Bestie und wir reizen
sie noch“.
Wallace Broecker
„Die heutige Menschheit
verspürt eine unterschwellige
Versuchung, sich zu
vernichten.“
Elsa Morante
„Folge der Spur des Geldes!"
Giovanni Falcone
Vorbemerkung
Vor schätzungsweise 3,5 Milliarden Jahren ist auf dem Planeten Erde organisches Leben entstanden. In der Tiefsee und/oder durch
Asteroideneinschläge haben sich Bedingungen entwickelt, die erste Lebewesen in Gestalt von Einzellern und Bakterien hervorgebracht haben. Damit wurde der Prozess einer Evolution eingeleitet, die im
Verlauf von Milliarden Jahren die heutige, unermessliche Vielfalt von Pflanzen und Tiere (inclusive der Menschen) nach sich zog. Möglich wurde diese Entwicklung vor allem durch das Entstehen der
Atmosphäre und durch die Sonneneinstrahlung, die aufgrund der Rotation der Erde und der Wanderung der Erde um die Sonne bis heute für ein Klima sorgt, das günstige Lebenswelten ermöglicht.
Da sich alles Leben auf einer dünnen Kruste über einem
Feuerball im Inneren der Erde und unter den Ozeanen abspielt, ist die Vielfalt der Lebewesen von Beginn an durch periodisch unregelmäßig auftretende Erdbeben, Vulkanausbrüche, Kometeneinschläge und
Veränderungen der Sonnenstrahlung gefährdet gewesen und hat immer wieder zum Aussterben großer Populationen geführt.
Die Kreaturen auf unserem Planeten durchlaufen alle den gleichen Zyklus des Lebens von der Zeugung über die Geburt, das Aufwachsen, Altern und
Sterben. Sie unterscheiden sich nur durch ihre Lebensdauer und ihre besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten, die ihre verschiedenen Lebenswelten prägen. Sie sind alle miteinander
verwandt.
Die Hominiden sind vor etwa 56 Millionen
Jahren erstmals aufgetreten. Menschen der Gattung homo und der Art sapiens sapiens gibt es wohl seit 300.000 Jahren. Nach dem Aussterben aller anderen Hominiden ist heute ausschließlich diese Spezies
Mensch übrig geblieben, die sich vor 100.000 Jahren, aus Afrika kommend, über den gesamten Planeten verbreitet hat. Sie entstammen bis heute alle dem gleichen Genpool.
Das Verhältnis des homo sapiens zur Natur hat sich in dem langen Zeitraum, der sich von der Ansiedlung der ersten sapiens, die als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen umherzogen und
sich Schritt für Schritt auf alle Kontinente ausbreiteten, bis zu den heutigen, stark städtisch geprägten Zivilisationen fundamental gewandelt. Ursprünglich begriffen sich die Menschen als Teil der
Natur, der sie in Gestalt von Flora und Fauna, aber auch der anorganischen Welt der Berge und Meere mit Respekt und Verehrung begegneten, wenn sie Gebrauch davon machten. Seit der
jüdisch-christlichen Aufforderung des Gottes der Tora, der hebräischen Bibel, galt die Devise: „Macht Euch die Erde untertan“ (aufgezeichnet etwa im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung im
babylonischen Exil der Juden auf der Basis älterer mündlicher Narrative). In der Folge entwickelte sich daraus ein Bewusstsein in dieser Kultur, rechtmäßig an der Spitze der evolutionären Entwicklung
und der Nahrungskette zu stehen, während alle anderen Naturwesen angeblich einer minderwertigere Spezies angehörten.
Einen Höhepunkt erreichte diese dualistische Denkweise mit dem Philosophen René Descartes im 17. Jahrhundert, der die Welt in zwei Substanzen aufteilte, einerseits die res
cogitans, die denkenden Wesen oder der Geist (cogito ergo sum), andererseits die res extensa, die alle ausgedehnten Dinge, die Körper, umfassten, also den Bereich, den man gewohnheitsmäßig „Natur“
nennt. Gegenüber dem Geist repräsentierten sie eine niedrigere Stufe des Seins. Alle Tiere gehören beispielsweise in diese Kategorie und können beliebig benutzt werden, sie haben nach dieser
Sichtweise keinen Eigenwert,sind nur Sachen Dieser Dualismus hat die Moderne geprägt, die den technologischen Fortschritt, zur Unterwerfung der Natur als erstrebenswertes Ziel verabsolutierte. Er
bereitete die „great acceleration“ vor, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die entwickelten Industriestaaten charakterisiert. Erst in jüngster Zeit wurden die damit einhergehenden, für
die Menschen erfahrbaren Folgen der ungehemmten Naturausbeutung auf die gesellschaftliche und politische Agenda gesetzt.
I. Die aktuelle Bedrohungslage
Eine Auslöschung fast allen Lebens auf dem Planeten durch Naturkatastrophen hat es in der Erdgeschichte
schon fünf Mal gegeben. Vor 66 Millionen Jahren, nach dem Einschlag eines großen Asteroiden in Yucatan, hat es eine etwa dreißigjährige Verdunkelung der Sonne durch den Ausstoß gewaltiger Mengen von
Staub und Asche gegeben. Geschätzt 75% aller lebenden Tier- und Pflanzenarten starben aus. Beim Zusammenbruch und Untergang bedeutender Zivilisationen in der Vergangenheit vermuten viele
Paläontologen, Archäologen und Historiker inzwischen, dass die Ursachen zu einem wesentlichen Teil in Zusammenhang mit Klimaveränderungen und der Unfähigkeit der Menschen, damit umzugehen, zu suchen
sind. Einige Beispiele dafür sind das Ende des Reiches der Khmer in Angkor Wat, die Reiche der Azteken und Maya oder der Hethiter in Kleinasien. Heute, im Anthropozän, scheint es, dass die Menschheit
durch die fortgeschrittene globale Vernetzung erstmals in die Lage gekommen ist, ihr Ende durch die Zerstörung ihrer natürlichen Lebensbedingungen selbst herbei zu führen.
Die wissenschaftlichen und technischen Innovationen, die unter
kapitalistischen Verwertungsbedingungen im 18. und vor allem im 19. Jahrhunderts zum Durchbruch kamen, lösten die seit der Sesshaftwerdung der Menschheit vorwiegend agrarisch und handwerklich
bestimmte Produktions- und Lebensweisen, wenn auch regional ungleichzeitig, weitgehend ab. Damit setzte eine erste Beschleunigungsphase der wichtigsten Wachstumsindikatoren ein. Unterbrochen wurde
diese Entwicklung nur kurz von 1914 bis 1945, geschuldet den beiden Weltkriegen und der mühsamen Regeneration in der Zwischenkriegszeit, wo eher eine Stagnation im Beschleunigungstempo eintrat. Ab
1950 setzte dann eine umso rasantere Beschleunigung ein: die „great acceleration“ (wie es die Erdsystemforschung nennt), Alle für die Lebensbedingungen der Menschen relevanten Indikatoren des
globalen Ökosystems schnellten exponentiell in die Höhe: Wirtschaftswachstum, Bevölkerungswachstum, Ausbeutung der fossilen Energien und lukrativer Mineralien, Massenkonsum, Mobilität,
Wasserverbrauch und Abwasseranfall, Düngemittelanwendung, Kunststoffprodukte, Abfallmengen, Massentourismus etc. In allen gesellschaftlichen, aber auch in vielen privaten Bereichen galt die Devise:
„mehr und noch mehr“. Diese dem Kapitalismus unabdingbare. inhärente Steigerungslogik brachte zwar ab den siebziger Jahren das Thema „Grenzen des Wachstums“ auf die politische Agenda, aber mittel-
und langfristig bislang ohne durchschlagenden Erfolg.
Allerdings vollzogen sich diese Prozesse in den Weltregionen
extrem ungleichzeitig und mit ungleicher Intensität, was die Zunahme des Wohlstands betraf, der einseitig zugunsten der industriell entwickelteren Gesellschaften und einiger Schwellenländer, die auf
dem Weg dazu waren, ausfiel. Während sich die folgenreiche Übernutzung des Naturkapitals vollzog, stieg in großen Teilen Asiens, Afrikas und Südamerikas das Bevölkerungswachstum stark an und es
steigt noch weiter an, wobei messbare Wohlstandsgewinne weitgehend ausbleiben. Periodisch breiten sich sogar Hungersnöte aus. Die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen und innerhalb der
Staaten vertiefte sich durch die negativen Folgen dieserBeschleunigungsdynamik.
Man kann
derzeit insgesamt zehn zentrale Krisenszenarien erkennen, die nicht als getrennt voneinander existierende Krisenphänomene betrachtet werden dürfen. Sie bilden vielmehr ein System wechselseitiger
Abhängigkeiten und Einflussnahmen, das die menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebensbedingungen auf dem Planeten bestimmt.
Abhängigkeiten und Einflussnahmen, die die menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebensbedingungen auf dem Planeten bedrohen
1. Der Anstieg der menschenverursachten Treibhausgase (CO2-Emissionen, Methan und Lachgas) führt zu einer übermäßigen Erwärmung in der Atmosphäre mit Folgen. Das
Umweltprogramm der UN hält inzwischen einen Klimawandel mit einer Erderwärmung auf 3,1 Grad für möglich (im letzten Jahr allein +1,3%). 1,7 Grad sind 2025 offenbar bereits erreicht. Erforderlich wäre
eine Senkung um 7,1% damit die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Die letzten Jahre zeigten eine kontinuierliche Erwärmung in den meisten Regionen des Planeten. Ursachen für diese
Entwicklung sind hauptsächlich die ungebremste Zunahme der Verbrennung fossiler Ressourcen: Kohle (incl. Braunkohle), Gas, Erdöl (wobei die G-20 Staaten für 80% davon verantwortlich sind, die
Afrikanische Union nur für 5%). Dazu kommt der steigende Ausstoß von Methan durch die Ausdüstungen der Rinder und schließlich von Lachgas, das über die künstlichen Düngemittel in die Flüsse und
Ozeane gelangt. Weltweite Treiber sind die Abholzung der Regenwälder und die Zerstörung der ozeanischen Ökologie. Bereits sichtbare Folgen sind das Abschmelzen von Polkappen und von Gletschern, was
zur Erwärmung der Meere und so zu Veränderungen der Wind- und Meeresströmungen führt. Damit werden in den Ozeanen wichtige ökologische Zusammenhänge zerstört (vor allem beim Phytoplankton und bei den
Korallen). An Land bedeutet das vermehrte Hochwasser, Überschwemmungen, Bergstürze und Schlammlawinen, aber auch vermehrte und stärkere Sturmereignisse durch die Erwärmung der Ozeane ((nicht nur
Hurricane und Monsune). Die maximalen Windgeschwindigkeiten erhöhen sich von Jahr zu Jahr. Extremwetterlagen haben sich seit 1970 verfünffacht, die Kosten sind um den Faktor 7 gestiegen. Erosion,
längere Dürrezeiten mit der Gefahr für die Versorgung der wachsenden Menschheit mit Nahrungsmitteln, zunehmend mehr und größere Waldbrände, sowie die Austrocknung von Seen und Flüssen in einigen
Regionen der Erde gehören ebenfalls zu den unübersehbaren Folgen des Klimawandels. Ein hoher Energieverbrauch mit entsprechenden CO2 Emissionen ergibt sich auch durch die Digitalisierung. Als Land
gesehen, würde das Internet mit seinem Stromverbrauch an dritter Stelle des Länderrankings stehen.
2. Die drastische Abnahme der Biodiversität wird durch Veränderung der Bodennutzung, der Verschmutzung der Ozeane und den Klimawandel verursacht. Drei
von vier Wildtieren sind bereits verschwunden, 85% des Fischbestandes ist seit 1970 in Flüssen und Seen zurückgegangen. Insbesondere bei Vögeln und Insekten ist die Aussterberate hoch. Rund zwei
Drittel aller Vögel sind bereits verschwunden. Die weltweite Zunahme der düngerintensiven Agrarindustrie mit ihren insektenvernichtenden Giften, die zunehmende Versiegelung der Böden, die die
Lebensräume der Tiere einengt und zerstört, gefährden die genetische Vielfalt. Aber auch Bäume und andere Pflanzen leiden unter den veränderten Umweltbedingungen. Klimawandel, Industrie, Verkehr und
Landwirtschaft zerstören Flora und Fauna mit Rückwirkungen auf die terrestrischen Zonen.
3. Die zunehmende Wasserknappheit und die Veränderungen im Wasserkreislauf
gefährden die Versorgung mit Trinkwasser, insbesondere durch das Abschmelzen der Gletscher sowie durch Verschmutzung der Flüsse und Ozeane sowie durch den zunehmenden Eintrag von Düngemitteln und
anderen Schadstoffen. 4. Die stark zunehmende Produktion von Plastik, das zu 90% nicht recycelt wird,
verschmutzt die Ozeane und Flüsse mit Plastikresten und Mikroplastik, was negative Folgen für die dortige Biodiversität und die Trinkwasserqualität hat. Angesichts der Weigerung der Erdöl- und
Plastikproduzenten (v.a. Russland, Golfstaaten, USA etc.) Reduzierungen zuzustimmen, wachsen die Probleme ständig.
5. Die zunehmende Gefahr von Pandemien wird nicht selten durch Zoonose ausgelöst (Übertragung von Viren und Bakterien vom Tier auf den Menschen) und
durch die enge Verflechtung der Handels- und Reiseströme verbreitet, wie sich bereits gezeigt hat.
6. Die periodisch wiederkehrenden Krisen des globalen Wirtschafts-
und Finanzsystems mit den Gefahren von regionaler Verelendung durch die immense Vernichtung von Kapital und deren soziale Folgen.
7. Die Zunahme der klimabedingten Flüchtlingsströme aus den
abgehängten Regionen der Erde und die anhaltende Ungleichheit der Lebensverhältnisse trifft auf die Abschottungspolitik der Einwandererstaaten gegen Migration und spaltet durch rechtspopulistische
Propaganda die Gesellschaften.
8. Die geopolitischen Veränderungen, verursacht durch den Machtzuwachs autoritärer und diktatorischer Regime zu Lasten demokratischer Systeme mit der Folge der Zunahme
zwischenstaatlicher, kriegerischer Auseinandersetzungen und innerstaatlicher Bürgerkriege, rückt den Klimaschutz an den Rand der Wahrnehmung und des politischen Handelns.
9. Die Medien in all ihren Erscheinungsformen sind in ihrer Mehrheit an der Verbreitung der
Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation keineswegs besonders interessiert. Insbesondere in den sozialen Medien werden die drohenden Gefahren durch nicht geprüfte Informationen, fake news,
Gerüchte und Verschwörungstheorien geleugnet oder heruntergespielt, ebenso wie von einigen autoritären Regierungen.
10. Außerdem können natürlich nicht vom Menschen verursachte Vorgänge in der Natur jederzeit auftreten und Opfer fordern:
Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tsunamis, Zusammenstöße der Erde mit größeren Asteroiden aus dem Weltall, Ereignisse auf der Sonne. Die Folgen wären dann je nach Ursache z.B. eine Verdunkelung des
Sonnenlichts mit länger anhaltenden Temperaturstürzen, die die Nahrungsproduktion, das soziale Zusammenleben der Menschen und das Aussterben von Arten befördern würden. Im Fall von heftigen Erdbeben
ist mit größeren Verlusten von Menschen und Siedlungen auf regionaler oder lokaler Ebene zu rechnen.
Das Umweltprogramm der UN hält inzwischen einen Klimawandel mit
einer Erwärmung der Erde auf 3,1 Grad für möglich (im letzten Jahr allein +1,3%). 1,7 Grad sind 2025 offenbar bereits erreicht. Erforderlich wäre eine Senkung um 7,1% damit die Erderwärmung auf 1,5
Grad begrenzt werden kann. Die letzten Jahre zeigten eine kontinuierliche Erwärmung in den meisten Regionen des Planeten. Ursachen für diese Entwicklung sind hauptsächlich die ungebremste Zunahme der
Verbrennung fossiler Ressourcen: Kohle (incl. Braunkohle), Gas, Erdöl (wobei die G-20 Staaten für 80% davon verantwortlich sind, die Afrikanische Union nur für 5%). Weltweite Treiber sind, über die
Verbrennung fossiler Stoffe hinaus, die Abholzung der Regenwälder und die Zerstörung der ozeanischen Ökologie. Bereits sichtbare Folgen sind das Abschmelzen von Polkappen und von Gletschern, was zur
Erwärmung der Meere und so zu Veränderungen der Wind- und Meeresströmungen führt. Damit werden in den Ozeanen wichtige ökologische Zusammenhänge zerstört (vor allem beim Phytoplankton und bei den
Korallen). An Land bedeutet das vermehrte Hochwasser, Überschwemmungen und Schlammlawinen, aber auch vermehrte und stärkere Sturmereignisse durch die Erwärmung der Ozeane ((nicht nur Hurricane und
Monsune). Die maximalen Windgeschwindigkeiten erhöhen sich von Jahr zu Jahr. Extremwetterlagen haben sich seit 1970 verfünffacht, die Kosten sind um den Faktor 7 gestiegen. Erosion, längere
Dürrezeiten mit der Gefahr für die Versorgung der wachsenden Menschheit mit Nahrungsmitteln, zunehmend mehr und größere Waldbrände, sowie die Austrocknung von Seen und Flüssen in einigen Regionen der
Erde gehören ebenfalls zu den unübersehbaren Folgen des Klimawandels. Ein hoher Energieverbrauch mit entsprechenden CO2 Emissionen ergibt sich auch durch die Digitalisierung. Als Land gesehen, würde
das Internet mit seinem Stromverbrauch an dritter Stelle des Länderrankings stehen.
II. Die Wahrnehmung und Nicht-Wahrnehmung der Bedrohungen
Die Wahrnehmung der Bedrohungen stößt aus mehreren Gründen an Grenzen. Der größte Teil
der Menschen auf dem Planeten lebt inzwischen in Städten. Dort sind die Bedrohungen nur begrenzt unmittelbar persönlich erfahrbar, es sein denn die Auswirkungen kriegerischer Konflikte machen sich
bemerkbar. Normalerweise beschränken sich die Erfahrung auf zunehmende Erwärmung, veränderte Jahreszeiten und Folgen für den eigenen Wohlstand als Resultat teilweise gestiegener staatlicher Ausgaben
für Nachhaltigkeitspolitiken, die die Etats und ihre Verteilung betreffen (Energiewende, Auflagen für Ökonomie und Landwirtschaft etc.). Dass diese Bedrohungen so selten in ihrer vollen Schärfe
wahrgenommen werden, liegt auch an der schleichenden Form der Katastrophenentwicklung, die bei einer Mehrheit der Bevölkerung eine relative Wahrnehmungsdistanz zu den Folgen des Klimawandels bewirkt.
Unmittelbare Betroffenheit erleben lediglich Menschen von dicht bewohnten lokalen oder regionalen Sektoren, die durch Überschwemmungen, Waldbrände, Erdbeben oder Vulkanausbrüche bedroht sind.
Ernsthaft wahrgenommen werden die bevorstehenden Umbrüche nur von den damit beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
sowie der Minderheit derjenigen, die solche Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen, sie für glaubwürdig halten oder sich an Aktionen zur Gegenwehr beteiligen. Schließlich ist neben der mangelnden Bildung,
die in vielen Kontinente die Wahrnehmung der drohenden Katastrophe verhindert, die ambivalente Haltung von Medien, die mit Desinformationskampagnen, die den Leugnern der Bedrohungen Raum geben und
Verschwörungstheorien verbreiten, kontraproduktiv. Gefährlich in diesem Sinne sind auch Politiker, die insbesondere in autoritären Systemen und im rechtsextremen Spektrum agieren. Sie bilden ein
weiteres gefährliches Moment, das einer breiten Aufklärung entgegensteht.
III. Die Chancen von Versuchen zur Eindämmung oder Verhinderung der
Bedrohungen. Wer könnten die Akteure sein und wo liegen ihre Grenzen?
1. Appelliert wird vielerorts an die individuellen Akteure, an die Konsumenten. Sie sollen freiwillig Verzicht üben und ihre Konsumgewohnheiten ändern. Es sollen möglichst
nur noch ökologisch verträgliche Waren und Dienstleistungen genutzt werden, die Abfallmengen vermindert und die Verbrennungsmotoren abgeschafft werden, kurz: der ökologische Fußabdruck jedes
Einzelnen wäre zu reduzieren. Aber das stößt an enge Grenzen, da solche Produkte und Dienste in der Regel teurer sind und die Informationen darüber nicht überall ankommen. Menschen mit geringeren
Einkommen werden sich das nicht leisten können oder solche Produkte sind gar nicht lieferbar. Außerdem lassen sich die Menschen nicht gerne vorschreiben, was sie konsumieren dürfen und was nicht.
Staatlich vorgeschriebene ökologische Maßnahmen bei der Energieerzeugung oder im Verkehrsbereich stoßen oftmals auf heftigen Widerstand oder werden nur zögernd umgesetzt aus Angst der Politiker, sich
unbeliebt zu machen. Es sind also systemische Zwänge, die hier wirken, weshalb man es nicht zwingend nur den einzelnen Individuen zumuten kann, sich klimagerecht zu verhalten. Die Verbreitung der
wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Voraussagen des Klimawandels motivieren nicht ausreichende Bevölkerungsmehrheiten zum Umsteuern, da die Reaktionen auf die Krisenphänomene oft nicht mit
rationalen Haltungen beantwortet werden, sondern bei einem Großteil der Bevölkerung, geschürt durch die sozialen Medien, gefühlsmäßig, ressentimentgeladen oder uninformiert ausfallen. Die Aktionen
zivilgesellschaftlicher Akteure im Umweltsektor reichen bislang nicht aus, um dem drohenden Ökozid erfolgreich zu begegnen. Ihr Engagement gelangt, wenn es eine radikalere Form anstrebt, rasch an
Grenzen der herrschenden Legalität, insbesondere wenn das Recht auf Eigentum und freie Entfaltung, sowie die Lebenshaltungskosten berührt werden. In den letzten Jahren ist zudem die Zahl derer, die
sich an Aktionen für den Umweltschutz beteiligten, stark zurück gegangen. Nicht nur bei den Parteien und der jüngeren Generation ist das Thema angesichts wirtschaftlicher Krisen mit Folgen für den
persönlichen Wohlstand und Ängste um die persönliche Zukunft und die Sicherheit deutlich in den Hintergrund gerückt. 2. Die
politischen Akteure, die sich auf nationaler und globaler Ebene für eine konsequente sozial-ökologische Transformation und nachhaltiges Wirtschaften einsetzen, insbesondere für die Eindämmung der
Erderwärmung (Energiewende) und die Erhaltung der Biodiversität, also die „grünen“ Bewegungen, sind überall deutlich in der Minderheit gegenüber schädlichen Modellen wirtschaftlichen Wachstums und
deren Interessenvertreter (Lobbyisten). Die „Grünen“ zunächst als Idealisten belächelt, werden dort, wo sie tatsächlich Einfluss auf politische Entscheidungen gewinnen, als Störenfriede und
Wohlstandsfeinde gebrandmarkt. Obwohl einzelne Projekte und Maßnahmen, die von ihnen und den mit ihnen verbündeten NGOs angestoßen werden und lokal oder regional Verbesserungen bringen, vermögen sie
solche notwendigen Maßnahmen im größerem Maßstab in den Parlamenten oder über eine Regierungsbeteiligung kaum durchzusetzen. Der Widerstand gegensätzlich orientierter Parteien und Interessengruppen
zwingt sie zu wenig effizienten Kompromissen. Unter Donald Trump werden die USA, der neben China weltweit größte Emissär von klimaschädlichen Schadstoffen, aller Voraussicht nach einen weiteren
Schritt zurück zu vermehrter Nutzung fossiler Energien machen, und damit die Dekarbonisierungsbemühungen konterkarieren. Die vom Export von Öl und Gas profitierenden Länder stemmen sich bis jetzt
gegen jede Veränderungen zu ihren Lasten. Resultat ist die schwindende Legitimität der staatlichen Führungen im Hinblick auf notwendige ökologische Reformen, weil sie die Verteilungskonflikte
verstärken. Die enormen Schuldenlasten vieler Staaten setzen darüber hinaus den Bemühungen um Nachhaltigkeit oft enge Grenzen. Von den zunehmend autoritär regierten Staaten und rechtspopulistischen
Bewegungen/Parteien wird eine ökologische Wende in der Regel ohnehin nicht angestrebt. Die Geschichte der Menschheit vom Klima her zu denken, ist nach wie vor denkbar unpopulär.
3. Die Bündnisse und Kooperationen auf transnationaler politischer Ebene (UN, EU, Weltklima- und Biodiversitätskonferenzen etc.) haben
bislang nicht vermocht, über die wissenschaftlichen Berechnungen und die Analyse der drohenden ökologischen Katastrophen hinaus, entscheidende politische Maßnahmen zu initiieren, die eine ökologische
Wende, die diese Bezeichnung verdienen, einleiten würden. Dazu müssten in erster Linie auch ausreichende Klimaschutzbeiträge der Hauptverursacherstaaten von Treibhausgasen an die davon betroffenen
Entwicklungsländer gehören, um deren Klimaschutzmaßnahmen voranzubringen. Dagegen stemmen sich Staaten, die vom Export von Kohle, Erdöl und Gas profitieren, aber auch bestimmte Staaten, die von sich
in Anspruch nehmen, noch zu den Entwicklungsländern zugehören (Beispiel: China trotz global höchsten Ausstoßes von klimaschädlichen Emissionen). Obwohl die Kenntnisse und Handlungsnotwendigkeiten
also auf dem Tisch liegen, wird jede ernsthafte Umsetzung behindert, entsprechende Vorschläge oder Projekte werden ignoriert.
4. Seit den achtziger
Jahren des 20. Jahrhunderts, als Wissenschaftler in den USA erstmals das Thema des Klimawandels und seiner Folgen, insbesondere des Treibhauseffekts, auf die politische Agenda brachten, formierte
sich der Widerstand der fossilen Industrie (Öl und Gas). Über ihre Lobbys säten die mächtigen Ölkonzerne Zweifel an den wissenschaftlichen Erkenntnissen oder ließen sie durch ihnen hörige Think Tanks
sogar leugnen. Diese Bemühungen halten bis heute an. Die großen, global agierenden Techno- und Ölkonzerne mit ihren viele Milliarden schweren Rücklagen betreiben in der Regel entweder nur ein
Greenwashing ihrer ökonomischen Strategien, was wenig verändert, oder sie bekämpfen sogar alle Bemühungen einer ökologischen Transformation, weil sie davon finanzielle Nachteile befürchten und ihre
Aktionäre nicht enttäuschen wollen. Über ihre Lobbys machen sie ihren Einfluss auf staatliche Organe und deren Gesetzgebung zumeist erfolgreich geltend, um ihre ökonomischen Spielräume zu schützen,
auch wenn sie damit ersichtlich ökologische Krisen befördern (s. zuletzt das Shell-Urteil). Eine effiziente Kooperation von globaler Wirtschaft und Staat zum Zweck der ökologischen Transformation ist
nirgendwo in Sicht.
5. Hoffnungen, die sich auf neue, innovative Technologien, vor allem die Künstliche Intelligenz, richten, überschätzen
vermutlich deren Potential für eine radikale ökologische Wende, zumal diese Technologien selbst enorme Energiebedarfe haben. In der Anwendung unterliegen sie den Funktionsgesetzen und Interessen der
Großko
IV. Systemische Hindernisse einer Bekämpfung der Bedrohung
Zusammenfassend ist festzustellen: Es existieren drei entscheidende systemische Hindernisse, die vor allem dazu beitragen, dass die
Menschheit den bevorstehenden Ökozid, der in einem schleichenden, scheinbar unaufhaltsamen Tempo voranschreitet, sodass die Zusammenhänge für die Mehrheit der Menschen nur schwer oder gar nicht
sichtbar werden, wohl nicht mehr verhindern kann. Die Elemente der ökologischen Krise haben sich im Verlauf der letzten drei bis zwei Jahrhunderte seit der Industrialisierung aufgebaut und erscheinen
nun in einem Maße verselbständigt und veränderungsresistent, dass ihre Überwindung kaum mehr realistisch erscheint. Verursacher sind erstens die mächtigen,
autoritären Anführer von Staaten wie den USA, Russland, China, und die Gas- und Erdöl produzierenden arabischen Staaten, in Allianz mit der „Techno-Rechten“ (Musk, Zuckerberg, Bezos u.a.) und ihre
Mitläufer in Europa und den anderen Kontinenten. Sie widerstehen bislang erfolgreich allen Versuchen, die zerstörerischen Folgen ihres Handelns zu unterbinden: nach wie vor werden schädliche
Externalisierungen den Verursachern nicht zugerechnet Da es keinen ausreichenden Widerstand gibt, der sie daran hindern könnte, gelingt es diesen Mächten immer wieder, die Ängste der Menschen vor der
notwendigen Veränderung im Hinblick auf den Klimawandel zu manipulieren. Dazu tragen die Massenmedien erheblich bei. Die vorwiegend technologische Problembearbeitung dieser Krisen und die Angebote zu
deren Lösung stoßen unter den Bedingungen kapitalistischer Verwertung an kaum zu überwindende Grenzen. Verbunden damit ist zweitens, was oft übersehen wird, die seit dem 18. Jahrhundert sich parallel
zur Industrialisierung entfaltende Nationalstaatlichkeit, die die alten Monarchien und Imperien abgelöst hat. Die neuen Nationalstaaten sind oftmals zu erbitterten Konkurrenten geworden, die im
wesentlichen nur das Wohl der eigenen Bevölkerung im Auge haben (geschweige denn das Tierwohl oder andere natürliche Ressourcen)). Daran hat auch die Dekolonialisierung nichts geändert. Das
Regierungshandeln der Staaten, auch in den Demokratien, wird letztlich von einer national bestimmten Wohlstandsagenda geleitet. Damit widersetzt sich die Politik bislang erfolgreich einer effizienten
Form der globalen Kooperation, die Voraussetzung wäre, um die ökologischen Transformationsprobleme zu lösen. Scheinbare Ausnahmen von dieser Entwicklung wie die Europäische Union und andere
supranationalen Bündnisse stoßen ebenso an deutliche Grenzen wie die Vereinten Nationen, die über keine wirkungsvollen Sanktionsmechanismen verfügen, weil nicht zuletzt durch die Vetoregeln des
Sicherheitsrats notwendige gemeinsame Maßnahmen zur Verhinderung der fortschreitenden Katastrophenszenarien ausgebremst werden. Auch das regelmäßige Scheitern der Umsetzung von supranationalen
Konferenzbeschlüssen (z.B. Klima-, Bio- und Plastikkonferenzen) gehört hierher.
Drittens droht die ständig wachsende globale Ungleichheit der Einkommens- und Lebensverhältnisse die
gesellschaftlichen Spaltungstendenzen zu vertiefen, sowohl innerhalb der einheimischen Bevölkerungen, als auch im globalen Maßstab. Die dadurch bedrohte soziale Kohäsion kann zu inneren Unruhen und
vermehrten geopolitischen Konflikten führen. Das lenkt von Maßnahmen zur Eindämmung der globalen ökologischen Bedrohung ab. Schichten mit höheren Einkommen verteidigen mit ihren Machtmitteln ihre
Privilegien mit aller Härte. Das stärkt überall rechtspopulistische, nationalistische Kräfte. Demokratisch regierte Staaten geraten zunehmend unter Druck von autokratischen Systemen, die selbst keine
wirksame Lösungen für eine ökologische Wende zu bieten haben. Aber auch die Demokratien driften aufgrund der Unerfüllbarkeit gegensätzlicher Ansprüche aus der Bevölkerung und den wirtschafts- und
finanzpolitischen Interessengruppen in die ökologische Unregierbarkeit.
Dazu kommen die Interessen der weltweit agierenden Großkonzerne, die die nationalen Regierungen durch Ausnutzung der Konkurrenzsituation
und durch Korruption zu ihren Gunsten beeinflussen und damit nachhaltige Transformationsbestrebungen konterkarieren. Die Konflikte zwischen Staaten werden seit jüngstem wieder öfter in Form von
kriegerischen Auseinandersetzungen ausgetragen, deren Ende und Folgen kaum absehbar sind. Neben nationalistischen Gebietsansprüchen, die zu Ressourcenerweiterungen über territoriale Eroberungen
führen sollen, sind die Anlässe nicht selten religiös kaschierte Feindprojektionen, um Machtzuwachs zu erreichen. Sie provozieren den Ausbau von Sicherheitsinteressen, die sich präventiv gegen
vermutete Angriffe wenden, und damit die erforderlichen Ressourcen für die ökologische Wende blockieren. Am Ende könnten sogar Atomwaffen zur Anwendung kommen.
V. Maßnahmen, die die Nachteile des herrschende
Wachstumsmodells verhindern könnten.
Solche Maßnahmen
sollten dazu beitragen, die Erderwärmung anzuhalten oder wenigstens zu verlangsamen und die Dekarbonisierung voranzutreiben.. Dazu müssten die relevanten Akteure in Politik und Gesellschaft die
Verantwortung für die Fehlentwicklungen übernehmen und einen radikalen Mentalitätswandel einleiten, der den Abschied von einer Kultur des Konsumismus und Wachstumsstrebens beinhalten müsste. Im
Einzelnen würde das eine globale Energie- und Verkehrswende erfordern, dazu einen Umstieg auf eine biologische Agrar- und Forstwirtschaft mit einem Stopp der Zerstörung der Biodiversität. Zu
gewährleisten wäre eine Verzahnung von Klima- und Naturschutz, um bestehende Lebensräume zu erhalten (wozu unbedingt die Zuweisung eigener Rechte für die Natur und der erhebliche Ausbau von
Schutzgebieten an Land und auf den Ozeanen gehören sollte). Erforderlich wäre eine Kreislaufwirtschaft, die dafür sorgt, die Abfallmengen der Produktion in hohem Maße wiederzuverwerten. Außerdem
müssten diese Maßnahmen von einer entsprechenden Finanz- und Steuerpolitik begleitet werden, die die Ungleichheit der Lebensverhältnisse (national wie global) vermindern hilft. Besteuerung der
Unternehmen, vor allem der Großkonzerne und den finanzpolitischen Akteuren wären notwendig.. Den Konzernen wäre nach dem Verursacherprinzip eine Beseitigung der von ihnen durch die
Externalisierungsstrategien zu verantwortenden Umweltschäden aufzuerlegen bei gleichzeitiger Offenlegungs- und Sorgfaltspflicht ihrer Tätigkeiten. Eine gemeinsame Einigung der Staaten auf die
Umsetzung konsequenter Umweltstandards ist schließlich ebenso eine Voraussetzung wie die endgültige Einstellung kriegerischer Konflikte. Aus Gründen der Klimagerechtigkeit wären die klimavulnerablen,
ärmeren Staaten finanziell stärker als bislang zu unterstützen bei ihren Anstrengungen für klimaneutrale Entwicklungsvorhaben. Eine nüchterne Betrachtung dieser Erfordernisse zur Bewältigung der
menschengemachten Krisen zeigt, das die in dieser Richtung gemachten Schritte in keinem Verhältnis zu den Bedrohungen steht.
Ein weiterer Weg wäre die Entwicklung von Zukunftstechnologien, die die Nachteile der
Energieerzeugung mit fossilen Stoffen kompensieren würden. Gegenwärtig werden zur Minderung der Erderwärmung und zur Beschaffung von ausreichender Energie mehrere Strategien diskutiert und
projektiert: Erstens: das solare Geoengineering, das auf eine Manipulierung der Sonneneinstrahlung abzielt. Dabei ginge es darum, Aerosole in der Atmosphäre zu platzieren, um die Sonnenstrahlung
zurück ins All zu werfen. Selbst die Befürworter solcher Methoden weisen auf möglicherweise erhebliche Risiken hin und die enormen Kosten, die damit verbunden sind (z.B. Zerstörung der Korallenriffe,
Gefährdung der ozeanischen Ökologie etc.). Zweitens: Die Kernfusion, die über die Möglichkeiten der Photovoltaik hinaus, ausreichend Energie produzieren soll, um weiter zu machen wie bisher. Beide
Methoden befinden sich im Experimentierstadium und sind umstritten, weil die Nebenfolgen nur schwer kalkulierbar sind. Auch erfordern sie einen gewaltigen finanziellen Aufwand. Gleichzeitig wird über
die Möglichkeit der Verpressung der Emissionen unter die Erde oder in die Tiefen des Ozeans geforscht.
Die Bedenken gegenüber einer rein technologischen Lösungsstrategie fasst Thomas Ramge präzise zusammen: „Zunächst vermurkst die menschliche Gattung aus Gier und Dummheit genau das Klima, das
es ihr ermöglicht hat, zu prosperieren, dann glaubt diese Gattung in ihrer Selbstherrlichkeit auch noch, das vorindustrielle Klima wieder herstellen zu können, indem sie am Thermostat des Erdsystems
herumstellt.“ Angesichts der aufgezeigten widerständigen systemischen Konstellationen spricht nicht viel dafür, dass sich eine globale Vernunft bei einer kritischen Masse von Menschen und Politikern
durchsetzt, um das gegenwärtige Modell des Wirtschaftswachstums abzulösen und durch ein zukunftstaugliches Entwicklungskonzept zu ersetzen. Ändern müsste sich dazu auch die Kommunikation über den
Klimawandel (insbesondere in den sozialen Medien). Zwar wissen Wissenschaft, Politik und viele Menschen, was zu tun wäre. Es liegen auch (vorwiegend) technologische Lösungen vor, aber die Umsetzung
stößt auf die oben beschriebenen Widerstände. So bleibt die Hoffnung schwach, die sich davon nährt, die Menschheit habe ja noch immer einen Ausweg gefunden, der ihre Erhaltung sichert. Übersehen wird
bei diesem Argument oft, dass frühere Krisen regional und lokal begrenzt blieben, aktuell aber angesichts der globalen Dimension der vernetzten Krisenphänomene technologische, ökonomische und mentale
Alternativen nicht mehr ausreichend zu greifen vermögen.
VI. Die vorletzten Tage der Menschheit oder wieviel Zeit bleibt uns noch zum Umsteuern?
Amerikanische Klimapaläontologen haben in Wyoming untersucht, welche Folgen die letzte große Heisszeit vor 56 Millionen Jahre auf der Schwelle vom Paläozän zum Eozän
(PETM) für Pflanzen und Tiere hatte. Sie konnten anhand von Fossilien zeigen, dass unter anderem als Anpassung an die Temperatursteigerungen von über 5% eine „Verzwergung“ bei den Lebewesen
eingetreten ist. Auch in den Ozeanen sind Auswirkungen deutlich sichtbar, wie Bohrkerne zeigen. Damals zog sich dieser Klimawandel über 10.000 Jahre hin. Die Ursache für diese Heißzeit wird in einer
Zunahme von Vulkanausbrüchen gesehen, aber endgültig ist das nicht belegt.
Heute rechnen einige Forscher bereits in Jahren mit der Veränderung von Lebensräumen. Der Temperaturanstieg könnte bereits in den nächsten 200 Jahren weite Teile des Planeten
unbewohnbar machen, wenn der Ausstoß von CO2 und Treibhausgasen wie Methan nicht gebremst wird. Anzeichen, dass wir uns hier Kipppunkten nähern, sind nicht zu übersehen. Die Austrocknung und
Abholzung der Regenwälder und das Schmelzen des Polareises gehören ebenso dazu wie das Korallensterben und andere Veränderungen in der Tiefsee. Einige Ökosysteme können sich schon heute nicht mehr
behaupten. Jedenfalls wird die Geschwindigkeit des Temperaturanstieges und der sich selbst verstärkende Prozess des Wandels darüber entscheiden, wie lebenswert die Existenz auf diesem Planeten in der
Zukunft noch sein wird.
So ergibt sich eine düstere Perspektive: Die negativen Veränderungen werden zwar in langsamen, für die Öffentlichkeit oft schwer sichtbaren Schritten fortschreiten und sich regional
unterschiedlich auswirken, aber die Lebensbedingungen auf unserem Planeten werden sich fast überall Zug um Zug verschlechtern, mit der Aussicht auf einen finalen Kollaps, ein Ende der Zivilisationen,
wie wir sie bisher kannten. Es sei denn, den folgenden Generationen wird es gelingen, die Ignoranz der Mächtigen zu durchbrechen und die unerwartete Wende dennoch einzuleiten. Viel spricht nicht
dafür.
ANMERKUNGEN
Wegweisende Sachbücher zum Thema
Sibylle Anderl/ Claus Leggewie: Die Sonne. Eine Entdeckung, Berlin 2024
Beckert, Jens: „Verkaufte Zukunft“. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht, Berlin 2024
Gebauer, Thomas/ Trojanow, Ilija: Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise, Frankfurt/Main 2018
Glaubrecht, Matthias: Vom Ende der Evolution. Der Mensch
und die Vernichtung der Arten, München 2019
Harari,Yuval Noah:
Nexus. Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz, München 2024 Hoege, Peter: Der Susan Effekt, München 2015, S.233-235
Kerstin Hoppenhaus: Die Salze der Erde. Was drei chemische Elemente mit Kolonialismus, Klima und Welternährung zu tun
haben, München 2024 Kegel, Bernhard: Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen gegen den Klimawandel, Köln
2024
Kohn, Eduardo: How Forests Think, 2013 , deutsch: Matthes
und Seitz, 2023 Maxton, Graeme, Maren Urner, Felix Austen: Globaler Klimanotstand: Warum unser demokratisches System an seine
Grenzen stößt, Grünwald 2020 Overy, Richard: Warum Krieg?, Berlin 2024
Ramge, Thomas: Die Sonne dimmen. Wie Geoengineering die Menschheit vor der Klimakatastrophe retten kann, München 2024
Reckwitz , Andreas: Verlust. Ein Grundproblem der Moderne, Berlin 2024 Ritchie, Hannah: Hoffnung für Verzweifelte. Wie wir als erste generation die Erde zu einem besseren Ort machen, München
2024
Sala, Enric: The Nature of Nature, National Geographic. 2020
Simon, Fritz B.:Die Kommenden Diktaturen. Ein Worst-Case-Szenario, Heidelberg 2024
Urner, Maren, Wie Gefühle Politik machen, 2024
Wesche, Tilo: Die Rechte der Natur. Vom nachhaltigen Eigentum, Berlin 2023
Presseartikel zum Thema
Kaube, Jürgen: „Alles dreht sich ums Scheitern“. Es ist höchste Zeit, die Menschheitsgeschichte vom Klima her zu denken. Gespräch mit dem Globalhistoriker Peter Frankopan,
FAZ,13.5. 2023, S.9
Joachim Müller Jung: „Wir haben nicht mehr die Wahl“. Gespräch mit Klemens Tockner (Biodiversitätsforscher) und Johan Rockström
(Erdsystemforscher), FAZ, 29.11. 2023 S.N1f.
Simon, Judith: Weltuntergang als Ablenkung. Diskussionspaper zur Risiken der KI, FAZ, 18.10. 2024, S. 13
Paret, Christoph: Wir leben nicht mehr lang, Die große Beschleunigung nach 1945, FAZ, 10.05. 2023, S. N3
Calliess, Christian, Hat die Natur eigene Rechte?, FAZ, 14.11. 2024 , S.7
Idel, Anita: Der folgenreiche Biss der Kuh. Die Landwirtschaft entwickelt sich zu ihrem eigenen Totengräber, FAZ, 17.10.
2024, S.14
Drei von vier Wildtieren sind verschwunden, WWF-Bericht , 11.11. 2024, S.19 Mosbrugger, Volker: Regeneration muss
den Preis vorgeben. Die Transformation zur Nachhaltigkeit wird nur durch Orientierung am Verursacherprinzip gelingen, FAZ 20.9. 2024, S.11
Thiel Thomas: Keine Zeit für
Verzicht. Die Grenzen des Postwachstums, FAZ,31.07.2024, S. N4
Geinitz Christian: 1,5 Grad Ziel nicht mehr erreichbar. Bericht zur Weltklimakonferenz in Dubai, FAZ, 6.12.2023, S.15
Schwägele, Christian . Kühlgase für die Erde, FAZ 19.11.2024, S.10 TV-Serien Überleben in der Heißzeit (3 Teile), ZDF/arte Mediathek,
15.3.2025
Bremen, Mai 2025
2. Genesis und Geltung der Religionen
Vom Nutzen
und von den Gefahren einer Illusion
Im Zeitalter der Wissenschaft glaubt die Mehrheit der Menschen, vor allem in den monotheistischen Religionen noch immer an überirdische,
transzendente, unsterbliche Wesen, denen sie vermeintlich ihre Existenz verdanken, die darüber hinaus in ihr persönliches Leben eingreifen, die sie aber auch glauben, beeinflussen zu können, ohne
dass es dafür irgendwelche nachprüfbaren Belege gibt. In den drei monotheistischen Religionen dominieren Erzählungen, die Märchen gleichen: Im Christentum ist es der Mann aus Nazareth, der nach dem
Tod am Kreuz wieder aufersteht und zu seinem Vater im Himmel auffährt, um irgendwann die Menschheit zu erlösen; Im Islam der Prophet, der im Traum von Gott die Botschaft erhält und nächtens von
Damaskus nach Jerusalem fliegt oder im Judentum der Anführer seines Volkes, der von einem brennenden Busch, hinter dem sich Gott verbirgt, Weisungen erhält. Bei den asiatischen Religionen dominiert
ein immanenter statt transzendenter Glaube. Im indischen Hinduismus kommen verschiedene Glaubensrichtungen zusammen. Gemeinsam ist ihnen der Glaube an eine Weltseele, die ewige Wiedergeburt, das
Karma und Millionen Götter, da alles göttlich ist (Brahman Prinzip). Der Buddhismus ist eher eine Lehre des richtigen Lebens als eine Religion, verzichtet aber auch nicht auf das Wiedergeburtsdogma.
Die chinesische Lehre des Konfuzianismus entbehrt metaphysischer Aspekte. Verbreitet ist eine Ahnenkult, bei dem die Ahnen über die Familien wachen. Den Kern des Daoismus bildet die Suche nach
Harmonie mit dem natürlichen Fluss des Lebens, dem Leben im Einklang mit dem Dao. Gepredigt wird das Loslassen von übertriebener Wünschen und ein Leben im Einklang mit der Natur. Die japanische
Naturreligion, der Shintoismus, kennt kein Jenseits, vergöttert wird die Natur, zu der auch der Mensch gehört. Um diese Denkweisen und das ihnen folgende Verhalten zu verstehen, müssen wir uns zum
einen vergewissern, wie religiöses Bewusstsein und religiöses Handeln entstanden ist und wie es sich seit den Zeiten der frühen Menschheit in den verschiedenen Kulturen und Zivilisationen entwickelt
hat. Das bedeutet auch zu fragen, welchen Nutzen und welche Vorteile diese Glaubensarten ihren Anhängern bieten. Es geht also um Genesis und Geltung der religiösen Praxis und des religiösen Denkens.
Der Begriff der „Religion“ taucht in seiner modernen Bedeutung übrigens erst seit der frühen Neuzeit im europäischen Denken und Sprachgebrauch auf. Er ist im engeren Sinne auf die westlichen,
monotheistischen Glaubensvarianten begrenzt, die auf Transzendenz hin ausgerichtet sind und auf Offenbarungen beruhen, die in heiligen Schriften kanonisiert sind. Asiatische, präkolumbianische und
afrikanische Glaubenssysteme und Rituale sind eher immanent als transzendent orientiert. Der Begriff „Religion“ wird seiner Etymologie nach entweder vom lat. religare „verbinden, anbinden“ oder nach
Cicero von relegere „wieder lesen, überdenken“ im Sinne von „die rituellen Pflichten gewissenhaft befolgen“ verstanden. Der Einfachheit halber wird der Begriff im folgenden Text aber für alle
Glaubenssysteme benutzt. Von der Entstehung der Religionen und ihrer Entwicklung Über die Entstehung religiöser Vorstellungen und der damit verbundenen Praxis in der Frühzeit der Menschen haben wir
inzwischen nachweislich begründete Kenntnisse aus den archäologischen, paläontologischen, paläogenetischen, religionswissenschaftlichen, ethnologischen und historischen Forschungen. Danach ergibt
sich das folgende Bild: Erfahrungen über das Wesen ihrer Umwelt und ihrer Herkunft haben die frühen Menschen im wesentlichen durch die Beobachtung der Natur, die sie umgab, gemacht. Sie haben sowohl
den ewigen Kreislauf des „Stirb und Werde“, der alles Lebendige betrifft, in ihr Wissen aufgenommen, als auch in langen Jahrhunderten der Beobachtung die wechselnden Konstellationen des
Sternenhimmels erkannt. Die sie umgebene Natur war ihnen Ernährer, Beschützer und Gefahr zugleich. Der gestirnte Himmel über ihnen hat ihnen Rätsel aufgegeben und Spekulationen über den Einfluss auf
ihr irdisches Dasein befördert, was etwa ab dem 3. Jahrtausend in Babylonien zur Astrologie führte. Daraus sind Narrative entstand, die je nach Kultur unterschiedlich ausfielen. Die Natur empfanden
die frühen Menschen als beseelt (Animismus). Um sie sich geneigt zu machen und Gefahren für sich abzuwenden, brachten sie den sie umgebenden, nicht sichtbaren, aber durch magische Prozeduren
beeinflussbaren Wesen: Geister der Bäume, der Flüsse, der Tiere und nicht zuletzt der Ahnen, mit Ritualen und Opfern Verehrung entgegen. Diese Lebensweisen und Vorstellungen kann man bei den wenigen,
letzten noch heute in urzeitlichen Verhältnissen lebenden Menschengruppen, die in der Abgeschiedenheit von den sogenannten Hochkulturen existieren, aber auch bei vielen indigenen Gemeinschaften
beobachten. Rudimente davon tauchen aber auch in den religiösen Prktiken der Hochkulturen bis heute auf (z.B. die Bedeutung der Transsubstantionsformel in der katholischen Messe mit ihrer Beschwörung
von Blut und Leib Christi im ausgeteilten Brot und Wein ). Auch der sogenannte Aberglaube enthält darauf verweisende Elemente. Aus den Frühformen einer Erzählkultur entstanden schließlich, vermutlich
beim Zusammensitzen vor dem nächtlichen Höhlenfeuer, die ersten Geschichten, die auf eine überirdische Welt hinwiesen, der man die Verantwortung für alles Geschehen zuerkannte, das man sich nicht
erklären konnte. das man aber auch fürchtete und das mit Verehrungsritualen beschwichtigen werden musste. Diese Interaktion mit den Geistern geschah über Rituale zur Abwehr des Unheils und zur
Beschwörung des Heils. Alle Arten von Opfern (Tier- und Menschenopfer) dienten dazu, das Wohlwollen der unsichtbaren Mächte zu erlangen. Die Kommunikation mit den Geistern vollzog sich über viele
Tausend Generationen hinweg ohne schriftlichen Ausdruck, vor allem über rhythmische Bewegung, Musik, Tanz, Körperbemalung etc., also außeralltägliche Verhaltensweisen, die eingebettet waren in
rauschhafte, drogenbegleitete Feiern und Feste nach festgelegten Abläufen. Sie dienten nicht zuletzt der internen sozialen Kohäsion und Identitätsbildung, trugen zur Konfliktbewältigung nach innen
bei und zur Abgrenzung nach außen. In den Gräbern wurden Tote mit Grabbeigaben und in Hockstellung beigesetzt, meist in Ost-West Ausrichtung (aufgehende Sonne als Symbol für neues Leben), was bereits
auf Erwartungen eines Weiterlebens im Jenseits hindeutet. In darauf folgenden Zeitaltern entstanden, ohne dass die Rituale ganz verloren gingen, in diesem Rahmen mythische Erzählungen, die in der
Bronzezeit bereits rationale Formen der Verarbeitung von Erfahrungen annahmen und welterschließende Funktionen übernahmen. Die Vielheit der unsterblichen Götter und Göttinnen (Polytheismus) deckte
die gesamte menschliche Lebenssphäre ab, von dem jeweils höchsten Gott (zumeist eine Vaterfigur) bis zu Spezialgöttern für das Wetter, die Fruchtbarkeit, den Tod und vielen Lebensbereichen mehr, je
nach kulturellem Umfeld. Die Götter wurden gefürchtet und verehrt, mit Staatsfeierlichkeiten verbunden und mit Opfergaben bedient. Unter der Herrschaft dieser polytheistischen Götterfamilien spaltete
sich früh die Verehrung auf, je nach Bedarf, den es zu befriedigen galt. Bei den nur noch historisch existierenden polytheistischen Götterverehrungen der antiken Griechen und später bei den Römern,
aber auch bei den Germanen oder Indern waren es passenderweise gleich ganze (Götter-) Familien mit ihren bekannten Streitigkeiten, die die Rolle der Unsterblichen einnahmen. Ihrer Willkür war der
sterbliche Mensch ausgeliefert, wenn sie denn ins menschliche Leben eingriffen. Durch Opfer, Gebete und allerlei Rituale waren sie immerhin zu besänftigen. Gleichzeitig traten aber auch schon
vereinzelte Denker unter den frühen griechischen und römischen Philosophen auf (Demokrit, Xenophanes, Epikur, Lukrez u.a.), die grundlegende Zweifel an der Existenz überirdischer Götterwelten
äußerten, und diese Götterwelten als von Menschen generierte Projektionen entlarvten, was ihnen oft Verfolgung, Vertreibung oder Tod wegen Asebie (Gotteslästerung) einbrachte. . In der sogenannten
„Achsenzeitlichen Transformation“ (K. Jaspers) im Laufe des 1. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung gelang der „kognitive Durchbruch der Transzendierung einer bis dahin in Begriffen der mythischen
Götterwelt vorgenommenen Selbst- und Weltdeutung“. Die bis heute existierenden „Weltreligionen“ entstanden. Mit der Verbreitung monotheistischer Varianten der Religionen und ihrer Theologien gerieten
die älteren mythologischen Vorstellungen allmählich in den Hintergrund und wurden abgelöst von monotheistischen, religiösen Systemen, die durchweg Vaterfiguren in den Vordergrund rückten, die nun für
alles, was geschah, verantwortlich gemacht wurden. In diesen Varianten trat als neues Narrativ der mit Allmacht ausgestattete, Gehorsam einfordernde „Gott“ auf, der von den Menschen in die
Transzendenz versetzt worden war. Damit bot dieser Vatergott eine Projektionsfläche für alle denkbaren Bedürfnisse: für Wunscherfüllung, Trost, Hoffnungen, Angstabwehr, Zugehörigkeit zu einer
abgegrenzten Gemeinschaft und dem Ausgleich der herrschenden Ungerechtigkeiten nach dem irdischen Tod. Vor allem aber fungierte und fungiert dieser Glaube als Garant des Weiterlebens nach dem
leiblichen Ableben. Wenn man nicht schon die kurze Phase von Pharao Echnatons Herrschaft im Ägypten des 14.Jahrhunderts v.u.Z. mit der Verehrung des einen und einzigen (Sonnen)Gottes Aton als
Ursprung dieses Prozesses hin zum Monotheismus annehmen will, war es das Hirtenvolk der Juden, das nach der Auswanderung aus der ägyptischen Knechtschaft damit begonnen hat, sich einem
imaginären=unsichtbaren Vater/Gott zu unterwerfen und sich von ihm eine Fülle von Gesetzen, Geboten und Verboten hat auferlegen lassen, die bis heute den Alltag der frommen Juden und den in
Teilen theokratischen Charakter ihrer Staatsvorstellung prägen. Um die Wünsche und Erwartungen des Gottes zu erfüllen wird weltweit gebetet und geopfert, werden Denkmäler gesetzt, Rituale absolviert,
Tempel, Kirchen und Synagogen gebaut. Im Grunde ähnelt das sehr an die Antwort des Kindes auf eine ihm noch zutiefst fremde Welt, die es sich vertraut und geneigt machen will, in dem es sie in die
Welt der Familie, wie es sie erlebt, integriert („Wir sind alle Gotteskinder“). Diese Vorstellung hat sich in einer langen Entwicklungszeit zu subtilen theologischen Systemen ausgeweitet. Da Gefühle
und Wünsche nicht nur in Momenten krisenhafter Bedrängnis, das Denken und Handeln der meisten Menschen steuern, gewinnen sie gegenüber rationalen, vernunftbegründeten Überlegungen nicht selten die
Oberhand. Die Christen begnügten sich zunächst mit Vater, Sohn und einem schwer definierbaren Heiligen Geist, näherten sich mit der Zeit aber, in der katholischen Variante, durch die Hinzufügung der
Mutter Maria dem tradierten Familienschema an, wenn auch ohne familiäre Streitkultur. Die lutherische (protestantische) Formel des "sola fide", die allein auf die Gnade des „Vaters“ setzt,
weicht davon ab. Sie setzt auf den bedingungslosen Glauben an die Vaterfigur. Trotz aller möglichen Leidenserfahrung gelange man so zum Heil. In der calvinistischen Variante des Protestantismus, der
Prädestinationslehre wird es durch den persönlichen ökonomischen Erfolg bereits im Hier und Jetzt signalisiert. Die Muslime, in allen Variationen, kehrten im Gegensatz zur christlichen
Trinitätslehre zum allein herrschenden, (jüdischen) pater familias zurück, dessen Geboten man sich bedingungslos zu unterwerfen hat. Das begünstigte ein streng autoritäres, konservatives Modell, das
die Nachfolger des Propheten Mohammed weiter ausbauten und ihre Gefolgschaft damit in den überkommenen Gesellschaftsstrukturen fixierten, und so die vorhandenen Stammes- und Clanstrukturen tradierten
und verfestigten. Die Spaltung in Sunniten und Schiiten markiert nur die historische Trennung der Legitimationsgrundlage: die weltlichen Anführer als Erben der Familie des Propheten oder als
Nachkommen der arabischen Herrscher des 7. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den monotheistischen Deutungsschemata trösteten sich die Hinduisten und Buddhisten in ihrer Antwort auf die unergründlich
letzten Fragen mit der Vorstellung vom Rad der ewigen Wiederkehr, das keinen Anfang und kein Ende kennt, also dem ewigen Kreislauf des Stirb und Werde, wie es die Natur demonstriert. Religio im
strengen Wortsinn einer Rückbindung an das Transzendente ist das nicht, eher eine vergeistigte Überhöhung der Anschauung der Gesetze von Natur und Kosmos, um daraus Welterkenntnis und Lebenssinn
abzuleiten. Immanenz statt Transzendenz. Einen Ausweg aus dem Lebensrad, dem „samsara“, ist danach nur Wenigen durch asketische Erleuchtung möglich, die sie dadurch dem Wiederkehrungszwang
enthebt.. Zum Trost für den Rest der Menschen wurde die Lehre von der Wiedergeburt erfunden, der man je nach Anhäufung persönlichen Karmas durch Befolgung von Pflichten und moralischem Verhalten
(Dharma) zuversichtlich oder verzweifelt entgegen sehen kann. Damit ist der Gedanke von Belohnung und Strafe erhalten und die Gesellschaft disziplinierbar geblieben. Die allzeit pragmatischen
Chinesen wiederum versetzten kurzerhand ihre eigenen Eltern und die weiteren Ahnen in ein Jenseits der Lebendigen, aber nicht allzu weit weg, sodass sie die nachkommende Familie überwachen und
schützen können. Zum Dank erhalten sie neben der Verehrung Speis' und Trank im Jenseits und etwas (Papier)Geld. Der Gelehrte Konfuzius entwickelte dazu einen moralischen Pflichtenkalender, der
gleichzeitig eine ideale staatskonforme Doktrin darstellte, mit dem Kaiser als unnahbaren Zentrum der Macht. Die japanische ethnische Shinto-Religion ist stark diesseitsbezogen, weitgehend schriftlos
und auf die Natur gerichtet. Heute ist in Japan der Buddhismus stark vertreten. Über die lateinamerikanischen „Religionen“ der Azteken, Maya,Inka und anderer Kulturen wissen wir bislang wenig, ebenso
wie über die prächristlichen und prämuslimischen Rituale des afrikanischen Zivilisationen. Religionswissenschaftler gehen davon aus, dass es im Laufe der menschlichen Geschichte etwa zehntausend
Religionen oder religionsähnliche Gemeinschaften gibt und gegeben hat. Die Auswirkungen religiösen Glaubens auf Gesellschaften Nun sind aber negative Wirkungen der Glaubensausübung nicht zu
übersehen, was mit der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Glaubenssystemen und deren Alleinvertretungsanspruch auf die einzige Glaubenswahrheit verbunden ist. Besonders unter den monotheistischen
Religionen ist die Konkurrenz stark ausgeprägt. Die Ausgrenzung der jeweils Andersgläubigen als zu missionierende Heiden oder von Häretikern (Ketzern) gehört zu den Grundprinzipien insbesondere der
monotheistischen Religionen, aber auch Buddhismus und Hinduismus sind, wie Geschichte und aktuelle Konflikte zeigen, nicht völlig unberührt davon. Mit ihren oftmals extrem gewaltförmigen
Vernichtungsexzessen gegen Andersgläubige, die die Instrumentalisierung der Religionen durch die Mächtigen seit den Anfängen begleitet, zieht sich eine blutige Spur durch die Geschichte der
Religionen, die bis in die Gegenwart anhält. Fragt man nach den Anfängen dieser Entwicklung, stößt man auf die Herausbildung hierarchischer, auch militärisch gestützter Herrschaft nach der
allmählichen Sesshaftwerdung der Menschen vor etwa 11.000 Jahren. Die entstehenden Machtstrukturen und Hierarchien verlangten nach religiöser Legitimation, um sich zu behaupten. Insbesondere seit der
Bronzezeit, in der die ersten staatlich zu nennenden Gebilde entstanden und die ersten gesellschaftlichen Schichtungen mit Unterschieden in Rängen und Privilegien deutlich sichtbar wurden, verstärkte
sich diese Notwendigkeit zur Herrschaftssicherung Einzelner oder von Eliten. Es musste eine Legitimation mit Bezug aufs Göttliche hergestellt werden, um die Untertanen bei der Stange zu halten. Als
gesalbte Herrscher (in Großbritannien heute noch praktiziert), von Gott eingesetzt und mit Gottes Gnade gekrönte Häupter proklamierten und empfanden sich die jeweiligen Inhaber der Macht bis weit in
die Neuzeit hinein besonders gesegnet. Zwar sind seit der europäischen Aufklärung und der französischen Revolution wesentliche Lockerungen der religiös bestimmten Zwänge zu beobachten, auch das
Verhältnis von staatlicher Macht und Kirche hat sich verändert, aber das betrifft bislang, global gesehen, nur regionale Gebiete (vor allem in den westlichen Teilen Europas, in Teilen der USA und
Australien/Neuseelands), was im Einzelnen aber durchaus wieder regressiven Tendenzen weichen könnte. Unbestreitbar bleibt dagegen die positive Seite der Religionen als explosive, religiös motivierte
Freisetzung kultureller Kreativität in Gestalt von eindrucksvollen Bauten (Pyramiden, Grabmäler, Tempel Kathedralen, Moscheen, Synagogen oder Stupas), von Gemälden, Kompositionen und
anderen Kunstwerken höchster Qualität, die das kulturelle Leben der letzten Jahrtausende entscheidend bereichert hat. Vom Nutzen des Glaubens für seine Anhänger Sigmund Freud sah im religiösen
Glauben „einen Schatz von Vorstellungen, geschaffen, geboren aus dem Bedürfnis, die menschliche Hilflosigkeit erträglich zu machen.“ Das Geheimnis der religiösen Vorstellungen erklärt sich aus den
„ältesten und dringlichsten Wünschen der Menschheit...Das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke dieser Wünsche.“ Etwas später definierte er Religion als „Illusion zur Vermeidung von Unlustgefühlen“,
wobei er Illusion nicht mit Irrtum gleichsetzt: „Für die Illusion bleibt charakteristisch die Ableitung aus menschlichen Wünschen“. In dieser Formulierung, die der zeitlebens irreligiöse Begründer
der Psychoanalyse vertrat, wird sowohl auf das Irrationale des religiösen Glaubens hingewiesen, als auch auf dessen praktische Vorteile. Zu der Verdrängung der angesprochenen „Unlustgefühle“ zählen
in erster Linie Ängste vor dem Tod als dem unwiderruflichen Ende der eigenen Individualität, aber auch die Angst vor Schicksalsschlägen oder vor der Gefahr der Ausgrenzung aus der Gemeinschaft. Zu
den negativen Gefühlen kommen die Unsicherheit beim Handeln in einer komplexen Welt hinzu, die Unerreichbarkeit von Wünschen oder die Erfahrung von Ungerechtigkeit. Um solche Leid, Angst und
Schmerzen bis hin zu Depressionen und Suizidgedanken verursachende Gefühle zu vermeiden, bietet sich als Heilmittel der religiöse Glaube als ein System an, das diese existentiellen Bedrohungen zu
beseitigen oder mindestens zu verringern verspricht. Gläubige, welcher Religion oder Glaubensgemeinschaft auch immer, haben deshalb in der Regel gemeinsam: die begründete Hoffnung auf ein Weiterleben
nach dem Tod (Paradies, Wiedergeburt, Erleuchtung etc.), die scheinbar sichere Orientierung in einer schwer überschaubaren, komplexen Welt, die zu moralischen Festigkeit beiträgt und die Frage nach
dem Sinn des Lebens beantwortet, die Erwartung von Wohlgefühl und Sicherheit, was die Zugehörigkeit zu einer mehr oder minder großen Gemeinschaft bedeutet, in der der Einzelne aufgehoben ist,
allerdings um den Preis der Abgrenzung gegenüber anderen religiösen oder nicht-religiösen Gruppen, das Vertrauen, geistige Hilfe und Trost bei unvorhersehbaren Unglücksfällen, Schicksalsschlägen und
ähnlichen Notfällen zu bekommen, die Unterstützung bei der Erfüllung von Wünschen, die durch eigene Anstrengungen nicht erreichbar scheinen, die Hoffnung auf Gerechtigkeit im Jenseits, die in der
irdischen Welt nicht erfüllt wird, und damit die Verhinderung von Gefühlen der Verzweiflung, das erhebende Gefühl, intuitiv an einer spirituellen „Heiligkeit“ teilzuhaben. Religion könnte man nach
dieser Definition kurz gefasst als Angstmanagement, Trost- und Hoffnungsspender, Wunscherfüllungsmaschine und Beschaffer von Zugehörigkeit identifizieren. Um diese Vorteile zu genießen, bedarf es im
Normalfall auf der persönlichen Ebene keines übermäßig großen Aufwands. Es kommt, mit Ausnahmen streng orthodoxer oder asketischer Ausübung religiöser Gebote, meist zu keiner Überforderung des
Einzelnen. Es reicht das Bekenntnis zu den jeweiligen transzendenten Wesen, der Gehorsam gegenüber ihrer Priesterschaft (Kirche), das regelmäßige Beten, der Kirchgang, die Verteilung von Spenden und
Almosen, kurz: das Befolgen der gängigen Rituale der jeweiligen Gemeinschaft, sowie das Führen eines möglichst moralischen oder gottgefälligen Lebens. Oft reichen schon Teile davon aus, um den
Glauben oder Reste davon zu bewahren. So reduziert sich der Glauben für den Einzelnen im Durchschnitt meistens auf ein „do ut des“ - Verhältnis: Ich gebe Dir und Du gibst mir, eine Art
Versicherungssystem. Auf der gesellschaftlichen Ebene garantieren Machtverhältnisse und oft entsprechende staatliche Gesetze die Vorherrschaft einer bestimmten Religion oder Religionsfreheit.. Aber
auch im Bau von Kirchen, Moscheen, Tempeln, Synagogen manifestiert sich der Glaube und die Verehrung der jeweiligen Götter und Heiligen. In manchen Kulturen auch durch den Erhalt von vielfältigen an
die Religion gebundenen Einrichtungen im Sozial- und Bildungsbereich (Pflegeheime, Kindergärten, Schulen etc.). Kirchensteuer, Kollekten, staatliche Zuschüsse oder ähnliche Verfahren sorgen für die
ausreichende Finanzierung. Die sichtbare Traditionspflege (staatlich geförderte Feiertage, Prozessionen, Pilgerfahrten etc.) trägt dazu bei, den Glauben in der Öffentlichkeit zu verfestigen.
Ungläubige und Religionskritiker erleiden oft Nachteile oder sogar Sanktionen und werden ausgegrenzt. In Ausnahmefällen ist die Bereitschaft zur Verteidigung der Glaubensgemeinschaft gefordert
(Religionskriege), schlimmstenfalls der Märtyrertod Gegenüber dieser funktionalen Interpretation des Glaubens als einer nützlichen Angelegenheit für den Einzelnen und die Mächtigen in der
Gesellschaft wird eingewandt, dass für viele Gläubige eher eine intuitive Gewissheit der Teilhabe am Heiligen entscheidend sei. Insbesondere das Gefühl der Einbettung des Menschen in eine
allumfassende Schöpfung lege die Existenz eines gütigen Schöpfergottes zwingend nahe. Dieses tiefe Gefühl des Lebens im Schutz göttlichen Beistandes (“der liebe Gott“) sei die Essenz des Glaubens,
unabhängig von den einzelnen Ausformungen der real existierenden Religionen. In der Lebensrealität dürften aber beide Aspekte des Glaubens eine Rolle spielen. Zweifel an der Existenz eines
allmächtigen gütigen Gottes sät allerdings nach wie vor die Frage nach dem Eingreifen oder Nicht-Eingreifen Gottes oder vieler Götter in den Alltag und das Leben der Menschen. Die Auseinandersetzung
mit der Theodizee, der Frage nach dem „gerechten Gott“ begleitet den Glauben und die Theologie von Beginn an. Warum lässt Gott den Hungertod von Millionen unschuldiger Kinder zu oder Kriege mit einer
Vielzahl von Gewaltopfern, ohne einzugreifen? Warum gibt es das Böse in der Welt, wenn doch Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat, wie es in der Bibel heißt? Theologen aller
Konfessionen, jedenfalls in der monotheistischen Glaubenswelt, weisen dann auf den freien Willen des Menschen hin, dem die Entscheidung zwischen Gut und Böse offen stehen soll. Oder apodiktisch und
jede Debatte darüber beendend: Gottes Wege seien eben unerforschlich. Das befriedigt allerdings viele Zweifler nicht. Entscheidbar ist der Streit nicht, weil rationale und auf Gefühle gestützte
Argumente zu keiner gemeinsamen Basis finden können. Der Zustrom zu Atheismus, Agnostizismus und die wachsende Zahl der Irreligiösen hat vor allem in Europa seit dem Ende des Mittelalters erheblich
zugenommen. Freud zufolge war Religion einst eine zivilisatorische Instanz, heute sollte sie als Illusion erkannt werden sowie ihre Götter als Wunschvorstellungen, die die Größen- und
Allmachtsphantasien der Menschen spiegeln. Eine derartige Kritik ist, global betrachtet, aber eine Ausnahme. In anderen Kontinenten und Glaubensgemeinschaften ist das Bekenntnis zur jeweiligen
Religion noch stabil und wird weniger hinterfragt. Atheismus oder Irreligiosität werden ebenso wie Minderheitsreligionen oft verfolgt. Toleranz in diesen Fragen ist eher selten. Bilanz Was bleibt?
Ohne Religion steht der Mensch staunend, erschrocken, sprachlos dem letztlich Unerklärlichen seiner Existenz und der aller Wesen und Phänomene gegenüber. Warum gibt es mich überhaupt? Warum gibt es
überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Der Mensch will unbedingt Antworten auf die alte metaphysische Frage finden. Aber hier gilt, wie so oft: „Die Antwort ist das Unglück der Frage“ (Novalis).
Statt der Unergründlichkeit der Frage standzuhalten, wird die Zuflucht zu allzu raschen Antworten genommen, zu allerlei Konstruktionen, die ablenken von den Abgründen, die sich bei der Berührung des
menschlichen Verstandes mit den Urgründen des Seins ergeben. Das Gefühl der tiefen Beunruhigung, das hervorgerufen wird, wenn der Mensch sich ernsthaft auf die Frage des letzten Ursprungs unseres
Daseins (Ontodizee) einlässt, wird verdrängt. Oder wie Franz Kafka es einmal formuliert hat: „Das ganze Leben ist eine einzige Ablenkung, die nicht einmal darüber zur Besinnung kommen lässt, wovon
sie ablenkt.“ Es entsteht das Bedürfnis nach einem Ersatz für die verbleibende Leere, nach Sinngebung. Das Gefühl des schutzlosen Ausgeliefertseins im Universum, produziert Antworten, die von dem
kosmischen Unbehaustsein, der „metaphysischen Obdachlosigkeit“ (Habermas), erlösen sollen. Gefühle wie Hunger, Durst, Schmerz, das Bedürfnis nach Schutz, nach Anerkennung, schließlich das
angstbesetzte Bewusstseins der Endlichkeit menschlichen Lebens, allen Lebens, sind starke Beweggründe, die das Denken steuern. Es müssen Antworten her, Angebote, die solche Unlustgefühle ertragen
helfen, ja sich in Zustände umdeuten lassen, mit denen sich dauerhaft angstfrei leben lässt, weil befriedigende Erklärungen für alles Leiden, allfällige Schicksalsschläge und empfundene
Ungerechtigkeiten nicht zur Hand sind. Religionen, ideologische Weltanschauungen, die Flucht in esoterische Gefilde oder andere Narrative bieten nur scheinbar eine befriedigende Lösung an.. Dagegen
mahnte Freud: “Nein, unsere Wissenschaft ist keine Illusion. Eine Illusion aber wäre es zu glauben, dass wir woandersher bekommen könnten, was sie uns nicht geben kann.“ Bis die Menschheit sich der
überwältigenden Tatsache der Unerkennbarkeit des letzten Grundes ihrer Existenz ohne Scheu stellt und auf den Versuch verzichtet, das eigene unvollkommene Erkenntnisvermögen durch anthropozentrische,
herrschaftsnahe Konstrukte (sprich: Religionen) zu verdecken, dürfte noch viel Zeit vergehen und viel Leid im Namen religiöser Dogmen verursacht werden. Wenn es überhaupt je gelingt, die destruktive
Erblast der Religionen, oder der teilweise an ihre Stelle getretenen Ideologien, quasi Ersatzreligionen, abzuschütteln, dann nur, wenn allgemein akzeptiert wird, dass der Sinn des Lebens das Leben
selbst ist, und nichts darüber Hinausreichendes. Diese Erkenntnis schließt freilich solidarisches Handeln auf der unverrückbaren Tatsache der Sozialität menschlicher Existenz und ihres unauflöslichen
Zusammenlebens unabdingbar ein: Kein Ich ist ohne Du denkbar. Frei von Ideologien und Religionen könnte sich so menschliches Leben in Form wechselseitiger Anerkennung und Kooperationsbereitschaft
entfalten. Eine Utopie, gewiss, aber eine denkbare.
Anmerkung:
Freud's Überlegungen zur Religion finden sich in: Sigmund Freud, Die Zukunft einer
Illusion (1927), in: Gesammelte Werke, XIV. Band (Werke aus den Jahren 1925-1931), Imago Publishing Co., Ltd., London 1948 ff.
s. außerdem dazu:
Susanne Lanwerd: „Die Zukunft einer Religion“. Anmerkungen zu Sigmund Freuds Religionskritik, in: Dies. / Richard Faber (Hg.): Atheismus: Ideologie, Philosophie oder Mentalität. Würzburg 2006, S.
91-104.
Bremen, Mai 2025
3. „Zeitenwenden“
Zur Geschichte des homo sapiens seit seiner Wanderung „out
of Africa“
„Der Engel der Geschichte muss so
aussehen. Er hat das Antlitz
der Vergangenheit
zugewandt . Wo eine Kette von
Begebenheiten vor uns erscheint, da
sieht er eine einzige Katastrophe, die
unablässig Trümmer auf Trümmer häuft
und sie ihm vor die Füße schleudert. Er
möchte wohl verweilen, die Toten wecken
und das Zerschlagene
zusammenfügen.
Aber ein Sturm vom Paradies her, der sich
in seinen Flügeln
verfangen hat und so
stark ist, dass der Engel sie nicht mehr
schließen kann... Das, was wir den
Fortschritt nennen ist dieser Sturm.“
Walter Benjamin
Vorbemerkung
Von „Zeitenwende“ ist derzeit eher
leichtfertig die Rede, wenn irgend eine Begebenheit oder eine politische Entscheidung Aufsehen erregt. Im folgenden wird der Begriff „Zeitenwende“ sehr viel enger gefasst. Es geht um Zäsuren, die
periodisch unregelmäßig auftretende, abrupte Einschnitte in der Entwicklungsgeschichte und den Lebensverhältnissen der Menschen. markieren, die also eine „neue Ära“ ankündigen. Seit dem Auftreten des
homo sapiens außerhalb von Afrika können Zeitenwenden mit entscheidenden Neuerungen oder Veränderungen in den wichtigen Sektoren der Gesellschaft verbunden werden: - mit dem Aufstieg und Niedergang
politischer Systeme, mit der Einführung bedeutender ökonomischer und technologischer Innovationen, mit Umbrüche in den Sozialstrukturen mit einem sichtbaren Wandel in den kulturellen und religiösen
Vorstellungen. Dabei sind diese Zäsurelemente nicht immer scharf von einander getrennt. Die Datierungen der Zäsuren beschreiben Zeiträume, in denen die Veränderungen und Umbrüche wirksam werden.
Dabei kann es zu Ungleichzeitigkeiten kommen, je nach den besonderen Umständen in einzelnen Regionen und Kulturen des Planeten. Räumlich ist die Darstellung vornehmlich auf den geopolitischen Raum
Europas und Vorderasiens bezogen.Das hat seine Begründung darin, dass in Amerika, Ost- und Südostasien, Afrika und Ozeanien von der Frühzeit bis zum 16. Jahrhundert unabhängig voneinander jeweils
eigene Zeitenwenden für die dortigen Völker zu beobachten sind. Erst mit der Periode der Eroberung und Kolonisierung fremder Länder durch die Europäer ab dem 16./17. Jahrhundert, noch stärker seit
der Industrialisierung im 18./19. Jahrhundert und dem expandierenden Welthandel, sowie der Entwicklung neuer Kommunikationsnetze durch die Digitalisierung im 20./21. Jahrhundert treten die Zäsuren
einheitlicher auf. Gekennzeichnet sind die Wendungen zum jeweils Neuen, bisher Unbekanntem, auf der politischen Ebene durch das Erscheinen neuer Formen des Zusammenlebens und der
Herrschaftsverhältnisse. In der Ökonomie setzen sich neue Arbeits- und Wirtschaftsformen durch. Im sozialen Bereich geht es um Veränderungen der gesellschaftlichen Schichtung, um
Bevölkerungsvermehrung und bedeutende innergesellschaftliche Konflikte. Im kulturellen Raum finden sich in Religion, Philosophie und Wissenschaften Zäsuren in Form von Veränderungen des „Heiligen“,
von Göttervorstellungen, aber auch durch Erkenntnisfortschritte und deren Anwendung mittels wissenschaftlicher Entdeckungen, innovativer Erfindungen und dem Einsatz neuer Techniken. Dazu kommen die
wechselnden Stile im Bereich der Künste und der Bauten. Um die Darstellung nicht ins Unbegrenzte auszuweiten, sind die Informationen in den einzelnen Zeiträumen knapp gehalten und beschränken sich
auf die wichtigsten Ereignisse und Verläufe. Dass dabei manches unerwähnt bleibt, ist nicht zu verhindern.
1. Zeitenwende (100.000 v.u.Z. – 11.000 v.u.Z.)
Die erste Zeitenwende ereignete sich mit dem
Auszug des
homo sapiens aus Afrika, seiner
Urheimat. Im Verlauf seiner Wanderungen „out of
Africa“, besiedelte er innerhalb von wenigen
Jahrzehntausenden nach und nach den gesamten
Planeten und hinterließ dort seine Spuren.
Im Paläolitikum (Altsteinzeit) setzte die Auswanderung von Gruppen des homo sapiens aus Afrika ein, wo er erstmals vor 300.000 Jahren
nachweisbar ist. Er erreichte um ca. 100.000 Jahren Vorderasien und Europa und ist etwa um 50.000 v.u.Z. in Australien nachweisbar. Bei seinen Wanderungen auf verschiedenen Wegen, ost- und westwärts,
traf er um 70.000 v.u.Z. auf die Neandertaler (Menschen vom Typus homo heidelbergensis, einer homo erectus Art, die bereits früher aus Afrika ausgezogen war) und auf andere Arten der Gattung homo wie
den Denissovamenschen (in Sibirien) oder den kleinwüchsigen homo floriensis (in Indonesien), die aber zwischenzeitlich ausstarben (durch den homo sapiens verdrängt?). Der homo sapiens blieb an der
Spitze der Primaten als Art alleine übrig blieb. Das Aussterben des Neandertalers (mit dem ein Genfluss zum homo sapiens bestand) wird auf ca.40.000-20.000 v. Chr. datiert. Die heute lebenden
Menschen gehören so nur noch einer Art an, tragen aber Genanteile der ausgestorbenen Menschenarten in geringem Maße in sich. Die in Gruppen aus Afrika in Europa und Asien, den beiden Amerika und
Australien ankommenden Menschen der Art homo sapiens (Cro-Magnon-Menschen) waren Jäger und Sammler. Sie ließen sich vielfach in Höhlen nieder und ernährten sich von pflanzlichen und tierischen
Nahrungsmitteln. Ihre Beziehungen untereinander waren vermutlich egalitär geprägt, wobei gewisse hervorgehobenen Personen, besonders qualifizierte Jäger und Schamanen, eine besondere Rolle einnahmen,
wie aus Grabbeigaben ersichtlich scheint. Auch sind offenbar beide Geschlechter an den überlebensnotwendigen Tätigkeiten gleichermaßen beteiligt. Sie erlegten das Großwild der damaligen Zeit in
Gruppen, ausgerüstet mit Speeren, die Feuersteinspitzen besaßen. Spirituell betrachtet, folgten sie animistischen Vorstellungen. Pflanzen, Tiere und selbst anorganische Formationen wurden als belebte
Wesen wahrgenommen, denen man Respekt, Verehrung und Opfergaben schuldete. In Ritualen, die von Schamanen angeleitet wurden, feierten sie bei (be)rauschenden Festen die Gemeinschaft, die sich so von
anderen, fremden Gruppierungen mit anderen Ritualen abgrenzte. Reste der Rituale sind in heutigen Festen und religiösen Feiern erhalten geblieben (s. etwa die Transsubstantiation in der katholischen
Messe mit ihrer Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi). Es sind keine schriftlichen Aufzeichnungen erhalten, aber ab 40.000 v.u.Z. entstanden Kleinplastiken aus Mammut-Elfenbein,
Knochen und Holz, dazu Felsritzungen auf fast allen Kontinenten und Höhlenmalereien von hohem künstlerischen Wert vor allem in Südfrankreich und Spanien. In den Gräbern wurden Tote mit Grabbeigaben
und in Hockstellung in Ost-West Ausrichtung gefunden (aufgehende Sonne als Symbol für neues Leben), was auf Jenseitserwartungen hindeutet.
2. Zeitenwende (11.000 – ca. 3.000
v.u.Z.)
Die zweite Zeitenwende begann im Neolithikum,
nach der letzten Kaltzeit, mit dem Übergang zur
Sesshaftwerdung, die eine bäuerliche
Lebensweise mit Ackerbau und Viehzucht
hervor brachte, was eine Fülle von Innovationen im
Bereich agrarischer Werkzeuge nach sich zog. Über
Handelskontakte mit Naturaltausch zwischen den
Siedlergruppen unterschiedlicher
Regionen erweiterte sich die soziale
Kommunikation und brachte einen Austausch
von Kenntnissen und kulturellen wie spirituellen
Errungenschaften mit sich.
Im Neolithikum (Jungsteinzeit) beginnt die allmähliche Sesshaftwerdung der Menschen,
wobei noch ziemlich lange Zeit beide Lebensformen nebeneinander her bestehen. Die grundlegende Veränderung bringt neben den ökonomischen auch soziale, technische und kulturelle Veränderungen mit
sich. Ihren Anfang genommen hat die bäuerliche Sesshaftwerdung mit der Bearbeitung und Bepflanzung des Bodens (vor allem frühe Getreidesorten, wie Emmer und Einkorn, aber auch Erbsen und Linsen,
später Olivenbäume und Wein), sowie der Domestizierung von Tieren und ihrer Nutzung beim Ackerbau wie zur Erzeugung von Nahrungsmitteln und Bekleidung. Der Ursprung des Ackerbaus lag in Vorderasien,
vermutlich in den fruchtbaren Tälern Südmesopotamiens (zwischen Euphrat und Tigris, im heutigen Irak). Von dort scheinen wandernde Gruppen in Wellen die neuen Lebens- und Wirtschaftsformen in
Jahrtausenden nach Westen und Osten weiter getragen zu haben. Gegen 7000 v.u.Z erreichte die Welle der Sesshaftwerdung durch Migration über Land-und Seerouten das südliche und westliche Europa. Eine
spätere Vermischung mit einheimischen Bevölkerungsgruppen ist anzunehmen. Die ersten größeren Siedlungen mit Bauern und nomadischen Hirten entstanden um 6.700 v.u.Z. entlang der türkischen Südküste
der Ägäis und brachten neben der Haustierhaltung auch die Herstellung von Steingeräten (z. B. Steinbeile) und Gefäßen aus Keramik mit sich. Die neolithische Revolution führte zu einem erheblichen
Bevölkerungswachstum. Als Energieressource diente wahrscheinlich die kontrollierte Nutzung der Sonnenenergie. In Stein gehauene Sonnenkalender bestimmten die Saat- und Erntezeiten. Probleme für die
Bevölkerung entstanden durch das enge Zusammenleben mit den Tieren, die Krankenkeime auf eine Bevölkerung übertrugen, die noch keine ausreichend Immunabwehr entwickelt hatte. Erkrankungen (TBC,
Infektionen), wurden auch verursacht durch mangelnde Hygiene und die Trinkwasserversorgung aus Brunnen, die vielleicht mit den Tieren geteilt wurden. Die Sozialstrukturen wandelten sich
wahrscheinlich im Laufe der Jahrhunderte von egalitären Gruppierungen hinzu komplexeren Organisationsformen wie von Häuptlingen dominierte Stammesverbände. Bestattungsformen haben sich in Resten
erhalten. Nach den Tempelanlagen von Göbekli Tepe (Anatolien), die noch von Jägern und Sammlern errichtet wurden, sind vor allem Megalithanlagen wie Stonehenge und Menhire, oder Steingräber wie in
Carnac auf Malta und in Irland zu finden. Die Anordnung der Steine, beweist, dass die Steinzeitbewohnern sich bereits intensiv mit der Beobachtung des Laufs der Gestirne beschäftigten und anderen
Ereignisse wie Sonnen- und Mondfinsternissen ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen.
3. Zeitenwende (3.000 – 800 v.u.Z.)
Die dritte Zeitenwende,
die Bronzezeit
war geprägt von der erstmaligen
Entstehung von Strukturen, die von
dieser Zeit an das gesellschaftliche
Leben bestimmen: charismatische
Herrscher (und Dynastien), die Staaten
anführten, und eine Verwaltung
installierten. Damit begann die
Aufspaltung der Gesellschaft in
Herrscher und Beherrschte. Armeen
entstanden,die Kriege führten Völker
grenzten sich von anderen Völkern ab.
Gleichzeitig kam es zu einem starken
Bevölkerungswachstum und der
Trennung von Stadt und Land,
verbunden mit einem raschen
Wachstum der Städte. Es begann das
metallurgische Zeitalter
mit seinen neuen
Technologien, die eine serielle Produktion
ermöglichten: Waffen, Schmuck
etc. Es
entwickelten sich erste Schriften: die
Keilschrift in Mesopotamien und die
Hieroglyphenschrift in Äggypten. Neue
kultische und mythologische Systeme
entstanden. Die Beobachtung
des
Sternenhimmels bestimmte die Bauten. In der Bronzezeit entstanden die ersten
größeren Städte und Stadtstaaten der Sumerer und Altbabylonier im südlichen Mesopotamien : Akkad, Uruk, Ur, Babylon, Ninive u.a. (Große Städte, wie Caral existierten übrigens seit 3000 v.u.Z. auch in
Peru). Die neue Metallverarbeitung verbreitete sich allmählich nach Westen und Süden (Ägypten, Mittel-, Süd- und Nordeuropa). Die Verarbeitung der Kupfer-Zinnlegierung zu Bronze eignete sich für die
Herstellung von härteren Waffen, Gerätschaften und Schmuck aus Metall. Der Zugang zur Beschaffung und die Beherrschung der erforderlichen Ressourcen, dazu Metallurgiekenntnisse und der Handel mit den
Erzeugnissen, führte zur ersten deutlichen sozialen Differenzierung der Gesellschaften (vererbbare Führungspositionen). Eine konzentrierte Herrschermacht mit religiöser Legitimation
(Herrschersalbung) entwickelte sich. Sumerer, Babylonier und Assyrer sowie Hethiter wechselten sich in den vorderasiatischen Machtkonstellationen dieser Zeit ab. Die Städte prunkten mit prachtvollen
Bauten, Gärten und Wasserregulierungen. Eroberungen wurden durch die Anwendung neuartiger Waffensysteme gemacht. Eine erste Rechtsordnung, der „Codex Hammurapi“ wurde verkündet. Auf einer Steinsäule
eingeritzt, wurde er dem Volk nahegebracht. Zur Handelserleichterung wurden Zeichen, woraus die erste Schrift, die Keilschrift entstand. Erstmals wurden Bronzebarren als Zahlungsmittel eingesetzt.
Das spirituelle Leben war von mythologischen Vorstellungen durchzogen. Die erste uns bekannte, schriftlich überlieferte Erzählung, das Gilgamensch-Epos, schildert das Leben eines mythischen Helden,
der auf der Suche nach dem Kraut der Unsterblichkeit scheitert. In Ägypten hatte sich seit ca.3.000 v.u.Z.das Pharaonenreich etabliert, das in vielen Dynastien bis zum 1. Jahrhundert v.u.Z.
existierte. Es ist durch seine monumentalen Grabbauten (Pyramiden) bekannt geworden und beeindruckt bis heute durch große Ingenieurleistungen, wie die geschickte Nutzung der Nilfluten zur
Verbesserung der Nahrungserzeugung. Die Entwicklung der Streitwagen in Kriegen machte das Heer der Pharaonen lange unbesiegbar und ermöglichte die Ausweitung des Reiches. Während die Keilschrift den
Handel und eine effektive Verwaltung erlaubten, diente die Hieroglyphenschrift im wesentlichen den Begräbnisriten (Totenbuch) und der Verkündung der ruhmreichen Taten der Pharaonen. Mit seinen
Tempelbauten und Gräbern im Tal der Könige bei Theben verschaffte es seiner Priesterkaste großen Einfluss. Das ägyptische Totenbuch mit seinen verschiedenen Anweisungen für die gute Lebensführung
sieht ein letztes Gericht vor, das über das Schicksal des Individuums nach dem Tod entscheidet (Übergang in ein paradiesähnliches Leben oder Verdammung in eine Hölle). Der Pharao Echn-Aton führte als
erster eine monotheistische Religion mit dem Sonnengott an der Spitze, die die alte Priesterkaste entmachtete, nach seinem Tod aber wieder rückgängig gemacht wurde. An der Levanteküste entstanden
zahlreiche Stadtstaaten, die sich gegen die Großmächte behaupteten. In Ugarit wurde die erste Konsonantenschrift erfunden, formal noch als Keilschrift Sie diente als Vorbild für das spätere frühe
Griechisch und eroberte darüber hinaus als Verständigungsmittel den Mittelmeerraum. Auf der griechischen Insel Kreta entstand, von Ägypten beeinflusst, die minoische Hochkultur mit großem
Palastkomplex und einer Königsherrschaft, die auf die gesamte Kykladenwelt der Ägäis ausstrahlte. Vermutlich war es ein großer Vulkanausbruch mit Seebeben im Mittelmeer, der zum Untergang diese
Kultur maßgeblich beitrug. Auf dem griechischen Festland dominierte zu dieser Zeit Mykene mit seinen Palästen und Grabstätten, bis die sog. Seevölker ab 1000 v.u.Z. dieses Imperium zerstört haben wie
auch andere Staaten, etwa die der Hethiter . Nur die Ägypter wehrten die Eindringlinge aus der Fremde erfolgreich ab. In der Spätphase der Bronzezeit, im Übergang zur Eisenzeit, kontrollierte in den
westlichen Mittelmeerregionen die etruskische Zivilisation große Gebiete, bis sie schließlich im römischen Reich aufging. Auch die Phönizier an der Ostküste des Mittelmeeres und in Nordafrika
(Karthago), denen wir neben der Erfindung der ersten Silbenschrift vor allem neue seemännische Navigationsinstrumente verdanken, fielen letztlich dem Expansionsdrang der Römer zum Opfer. Mittel- und
Westeuropa blieben in dieser Zeit noch ohne Schrift, profitierten aber von der Entwicklung im Mittelmeerraum (s. die Himmelsscheine von Nebra). Gewaltige Stein- und Holzkreise und Steingräber
(Stonehenge in England, Pömmelte in Sachsen-Anhalt)) bezeugten, wie das Grab des Fürsten von Leunigen mit seinen prachtvollen Schätzen beweist, auch hier einen deutlichen Einschnitt gegenüber der
Vergangenheit. Die Bergwerkstätigkeit gewann große Bedeutung (Hallstein). Insgesamt ist festzustellen, dass über die Handelswege gleichzeitig auch ein bemerkenswrte Kulturaustausch stattfand.
4. Zeitenwende (800 v.u.Z. –
100 v.u.Z.)
Die 4. Zeitenwende brachte
entscheidende Fortschritte in der
Neugestaltung der
Gesellschaft, die bis in die
Moderne hinein wirken. Weltreiche
entstanden und erstmals wurden Ideen von
Freiheit und Volksherrschaft in der Praxis
wenn auch
nicht auf Dauer. Religiöse und
philosophische Systeme verfestigten sich und
trugen zur Weltdeutung bei.
Die Eisenzeit, die im ersten Jahrtausend v.u.Z.die Bronzezeit ablöste, veränderte nicht nur die Machtverhältnisse
im mittelmeerischen Raum, sie war auch mit ihren revolutionären Veränderungen in Politik, Ökonomie und dem kulturellen Leben bahnbrechend und einflussreich bis in unsere Gegenwart. In ihr formte sich
früh der Geist der Moderne. Karl Jaspers hat diese Zeit (von 800 bis 200 v.u.Z.) als „Achsenzeit“ bezeichnet. Er verstand darunter Entwicklungen im Geistigen, die in diesem Zeitraum in verschiedenen
Kulturräumen des Planeten Denkanstöße für universalistische Glaubenssysteme gaben, mit denen die geistige Grundlegung der gegenwärtigen Menschheit erfolgt sei. In China wirkten Konfuzius und Laotse,
in Indien entstanden die Upanischaden, und Buddha lehrte den achtsamen Weg, den der König Ashoka verbreitete, in Persien setze sich die Religion des Zoroaster mit ihrem Dualismus von Arimann und
Ahura Mazda als Kampf des Guten gegen das Böse durch, Palästina brachte die jüdischen Propheten Elias, Jesaias und Jeremias hervor, die das Volk zum Gehorsam gegen Gott aufriefen. In der
babylonischen Gefangenschaft entstand die Niederschrift der Tora. Die griechische Antike mit ihren Philosophen und Naturforschern lösten sich vom mythischen Götterglauben und bereiteten ein neues
Verständnis der Rolle der Erde und des Menschen in der Welt vor. Besonders prägend für die weitere Entwicklung in Europa waren die Ideen der Menschen in den griechischen Stadtstaaten (Polis), wo
erstmals nach einer Abschaffung diktatorischer Einzelherrschaften der Wusch nach Freiheit und Gleichheit der Bürger aufkam und durchgesetzt wurde. Vor allem im Stadtstaat Athen entwickelte sich eine
demokratische Bürgergesellschaft, die eine Beteiligung aller freien Bürger (d.h. mit Ausnahme der Frauen, der Stadtfremden und der Sklaven) an der Ausübung der Herrschaft für längere Zeit
realisierte. Die Athener drängten erfolgreich die Perser zurück, unterlagen aber in den Kriegen den Spartanern. Die verschiedenen polis bekämpften sich in wechselnden Allianzen,. Der Umbruch brachte
einen kulturellen Schub mit sich, der in allen Sektoren von Kunst, Wissenschaft und Philosophie bedeutende Leistungen erbrachte. Angefangen von den großen Epen des Homer (Ilias und Odyssee) über die
Erfindung der Geschichtsschreibung (Herodot, Hesiod Thukydides), die Schauspiele für die Theaterbühnen (Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes), die Bildhauer (Phidias, Myron, Praxiteles u.a.)
und Architekten (Akropolis), sind es die Philosophen, die über die zeitlichen und räumlichen Grenzen hinaus das Denken im römischen Reich und noch im Mittelalter und in der Neuzeit beeinflussten. Die
Philosophen der griechischen Antike, von den Vorsokratikern (Thales, Parmenides, Heraklit, Protagoras, Xenophanes, Zeno, Demokrit) über die Klassiker (Sokrates, Platon und Aristoteles, Epikur und
Empedokles) sowie die Geographen, Astronomen und Mathematiker, die sich von den Göttererzählungen gelöst haben und empirisch begründbare Kenntnisse anstrebten (Pythagoras, Archimedes, Euklid,
Erathostenes) prägten nach ihrer Wiederentdeckung in der Zeit der Renaissance (im 15./16. Jahrhundert) die Entwicklung der Moderne, nachdem sie im Mittelalter teilweise vergessen oder bewusst
abgelehnt worden waren. Arabische Gelehrte (Averroes u.a.) bewahrten und tradierten die wichtigsten Texte. Auf den Niedergang der griechischen Poliskultur folgte im 4. Jahrhundert v. u.Z. die
hellenistische Epoche mit dem rasanten Aufstieg des Makedonierkönigs Alexander (der Große), der in wenigen Jahrzehnten bis zu seinem frühen Tod 320 v.u.Z., das erste „Weltreich“ der Antike schuf, das
von der Grenze Indiens über Persien den gesamten Vorderen Orient, Griechenland und Ägypten umschloss. Nach seinem Tod zerfiel dieses Reich in drei Teile, die von Diadochen regiert wurden: das
Seleukidenreich, das Ptolemäerreich (Ägypten) und das Antigonidenreich, die sich bald gegenseitig bekämpften und ab dem 2. Jahrhundert allmählich der aufsteigenden römischen Republik erlagen. Das
römische Reich (Imperium Romanum) ging von der Gründung der Stadt Rom im 8.Jahrhundert v.u.Z.aus. Das frühe Königreich mutierte am Ende des 6. Jahrhunderts zur Republik, die begann, die umliegenden
italienischen Stämme zu unterwerfen, und in ihr Herrschaftsgebiet einzugliedern (Volsker, Sammniten, Latiner etc.), schließlich auch die ehemals mächtigen Städtebünde der Etrusker. Nach den drei
Punischen Kriegen gegen den Feldherren Hannibal musste sich auch das phönizische Karthago ergeben. Rom wurde mehr und mehr zur Großmacht und expandierte kontinuierlich. Die römische Republik
zeichnete sich durch ihr vorbildliches Rechtssystem aus, das bis heute nachwirkt. Als römischer Bürger genoss man viele Vorteile. Im kulturellen Bereich wurde weitgehend die griechische Kultur
übernommen, von der Philosophie und der Kunst bis hinein in die religiöse Dimension. Die römischen Götter waren im wesentlichen Übernahmen der griechischen Vorbilder, die lediglich umbenannt wurden.
Nach den Eroberungen fremder Völker wurden deren Götter normalerweise in die römische Götterfamilie aufgenommen. In China gründete der „Gottkaiser“ Kaiser Quin huang di das chinesische Kaiserreich um
221 v.u.Z., eine Gewaltherrschaft mit einem Beamtenstaat. Er ließ sich ein gewaltiges Grabmal errichten mit einer Armee aus Stein unterbrachte. Es liegt bis heute, teilweise ausgegraben, unter einem
Hügel begraben. In Indien schuf der König Ashoka im 3. Jahrhundert v.u.Z.ein riesiges Reich und verbreitete den Buddhismus in ganz Asien.
Die 5.Zeitenwende (100 v.u.Z. - 487 u.Z.)
Die 5. Zeitenwende war geprägt vom
römischen Weltreich mit seinen
Errungenschaften in Militär, Recht,
Staatsverwaltung und beim Straßenbau.
Technische Hochleistungen wurden erbracht.
Während des Niedergangs des Reiches im
3./4. Jahrhundert entfaltete sich das
Christentum und wurde zur Staatsreligion,
bevor das weströmische Reich in der
Völkerwanderungszeit unterging. Das
oströmische Reich (Byzanz-
Konstantinopel)
existierte noch bis 1453, bevor es an die
Muslime fiel.
Das römische Kaiserreichs ist
durch eine enorme räumliche Expansion gekennzeichnet, die dem Kern des Reiches in Rom im Laufe der nächsten Jahrhunderte zahlreiche Provinzen durch Eroberung und Sicherung der Grenzen hinzufügt. Die
Neuformierung und Stärke des römischen Militärs war der entscheidende Vorteil. Ein Weltreich entstand, das zur Zeit seiner größten Ausdehnung von Spanien im Westen bis zu den östlichen Provinzen in
Mesopotamien reichte, im Norden Gallien und westrheinische, germanische Stämme umfasste, sich schließlich bis hinauf nach Britannien erstreckte, wo der Hadrianswall in Schottland die Grenze bildete.
Allerdings gelang es den Römern nicht, sich dauerhaft die germanischen Stämme östlich des Rheins zu unterwerfen (die verlorene Varusschlacht im Jahr 9 u.Z.). Der „limes“ (Wall) bildete in
Süddeutschland die Grenze (die allerdings für den Handel weitgehend durchlässig war). Im Süden gehörten Ägypten und weite Teile Nordafrikas zum Reich. Die römische Kaiserzeit sah Herrscher aus
wechselnden Dynastien (Julier, Flavier, Severer), Adoptivkaiser und Soldatenkaiser an der Macht. Erst mit der Einführung der „Tetrarchie“ im Jahr 293 u.Z (einer Teilung des Reiches in eine West- und
Osthälfte) zur Bewältigung der Reichskrise im 3. Jahrhundert durch Kaiser Diokletian endete das Prinzipat. Die Kaiser spielten je nach Veranlagung, Charakter, persönlichen Zielen und Vorhaben eine
sehr unterschiedliche Rolle im Machtgefüge des Staates. Sie machten in der Spätzeit den Senat von sich abhängig und stützen sich im wesentlichen auf das Militär. Die Baukunst erlebte in der
Kaiserzeit eine neue Blüte mit der Errichtung des Kolosseums, des Pantheons, der Ara Pacis, dem Forum mit seiner Basilica, mit Tempeln, Mausoleen und Termen, vor allem aber mit den Aquädukten, die
für die Versorgung mit Trinkwasser sicherten und dem gewaltigen Straßenbau, mit dem ein gigantisches Verbindungssystem bis hin in entfernte Provinzen geschaffen, das der militärischen Expansion und
dem Handel diente. Städte und Militäranlagen für die Legionen wurden überall nach dem gleichen Schema gebaut, mit einem rechteckigen Straßennetz, das durch ein Kreuz von Hauptstraßen„cardo“ und
„decumanus“ strukturiert wurde Auch die großen Provinzstädte erhielten Amphitheater und Termen. Ruinen davon sind bis heute in vielen modernen Städten erhalten. Allmählich wurde das römische
Bürgerrecht auch auf die Provinzen ausgedehnt. Rom nahm in dieser Zeit viele Impulse der griechischen, auch der byzantinischen Kultur auf. Griechische Gelehrte, die oft freigelassene Sklaven waren,
spielten eine bedeutende Rolle. Die Philosophie der „Stoa“, die historische Literatur (Tacitus, Prokopius u.a.), Kunst und Musik waren der Oberschicht vorbehalten. Für das „gemeine Volk“ sorgten zur
Unterhaltung Wagenrennen, Gladiatoren- und Tierkämpfe in den großen Amphitheatern und Arenen. „Panem et circenses“ (Brot und Spiele) sollten das Volk bei Laune halten. Zur römischen Kultur gehörte
eine gewisse religiöse Toleranz gegenüber anderen spirituellen Kulten, die vor allem im östlichen Mittelmeergebiet entstanden waren und neben die römische Götter/Kaiserverehrung traten. Besonders
attraktiv für die Römer waren offenbar der ägyptische Isis und Osiris Kult, die Verehrung des Mithras und andere aus dem Orient stammende Sekten. Aber auch die platonische Akademie existierte noch
lange in Rom. Während den in Rom ansässigen Juden die Ausübung ihres Glaubens weitgehend gewährt wurde, begegneten die Römer dem aufsteigenden, durch die Apostel Paulus und Petrus im ganzen Reich
verbreiteten, Christentum mit Unverständnis und Widerstand bis hin zur systematischen Verfolgung unter einigen Kaisern. Die christliche Lehre, gepredigt von einem am Kreuz gestorbenen Aufrührer mit
ihrem strikten Monotheismus, ihrer Idee von der Gleichheit aller Menschen vor Gott, die selbst Frauen und Sklaven einschloss und der Vorstellung von einem Leben nach dem Tode im Paradies traf auf
Unverständnis, weil sie fundamentalen Auffassungen der Römer widersprach, die an eine ständisch streng gegliederte Gesellschaft gewöhnt waren und sie als ewige Norm anerkannten. So brauchte der
christliche Glaube lange Zeit, um sich zu verbreiten. Erst in der Spätantike, ab dem dritten Jahrhundert begann das Christentum zur Massenbewegung zu werden, die schließlich unter Kaiser Konstantin,
der zuvor zum Sonnengott „sol invictus“ gebetett hatte, anerkannt wurde. Unter Konstantin (der Große), Kaiser ab 306 u.Z. war die „Tetrarchie“ Diokletians schon in Auflösung begriffen. Er setzte sich
gegen seinen Konkurrenten Maxentius in der Schlacht bei der Milvischen Brücke 312 u.Z durch, nachdem er angeblich in der Nacht vorher in einem Traum ein Kreuz mit dem Zeichen „in hoc singo vince“
gesehen haben soll. In einem Toleranzedikt wurde den Christen im Jahr 313 u.Z. eine Kultfreiheit im ganzen Reich zugesichert. Nach weiteren Feldzügen wählte Konstantin die Stadt Byzanz am Bosporus
zur neuen Residenz, die 325 u.Z. in Konstantinopel umbenannt wurde. Es ist unklar, ob Konstantin selbst zum Christentum übergetreten ist, jedenfalls förderte er die „heidnischen“ Kulte nicht weiter.
Er starb 337 während der Vorbereitung eines Krieges gegen die persischen Sassaniden im Alter von 60-70 Jahren. Das weströmische Reich geriet in der Spätantike nach Diokletians Tod in schwere Krisen,
bis schließlich mit der Absetzung des letzten Kaisers Romulus Augustulus, der von Ravenna aus herrschte, im Jahr 476 das Ende des weströmischen Reiches kam. Allerdings bestand das oströmische Reich
weiter. Für die Ursachen des Niedergangs des Römischen Reiches werden mehrere Gründe angeführt. Zu den wichtigsten zählen neben systemimmanenten Mängeln die langjährigen Bürgerkriege die das Militär
auszehrten und die Steuereinnahmen reduzierten. Dazu kamen mit der „Völkerwanderung“ die ständigen Einfälle germanischen Stämme und gemischter Kriegerverbände aus dem Norden, die teilweise unter den
Druck der Hunnen, einem asiatischen Reitervolk, nach Süden auswichen und die Grenzen überrannten (vor allem Langobarden, Vandalen, Goten). Goten und Römer trafen erstmals während der Reichskrise im
3.Jahrhundert aufeinander. Zum Teil wurden sie von Rom zum Schutz der Grenzen als „foederaten“ und Söldner angesiedelt, zogen aber oft weiter ins Reich und ließen sich dort nieder. 410 u.Z. eroberten
und plünderten Goten unter ihrem König Alarich die Stadt Rom und wanderten danach weiter nach Süden und Westen, wo sie in der Provinz Hispania siedelten. Die Vandalen eroberten sogar Nordafrika. Die
Langobarden gründeten ihr Reich 568 in Norditalien. Neuerdings wird für die Untergangsursachen auch auf Auswirkungen klimatischer Veränderung verwiesen. Nach einer stabilen Klimaphase gegen Ende des
Römischen Reiches sollen klimatisch instabile Zustände für erhebliche Schäden in der landwirtschaftlichen Produktivität gesorgt haben. Unter dem oströmischen Kaiser Justinian (527-565), der alle
Nichtchristen hart verfolgte, ihre Tempel schloss und ihre Bücher verbrannte, geschah im sechsten Jahrhundert endgültig der Übergang zum oströmischen Mittelalter. Dieses Reich bestand in Teilen bis
zum Tod von Kaiser Herakleiois 641. Nur die Hauptstadt des Reiches am Bosporus konnte noch bis 1453 dem Ansturm der Muslime widerstehen.
6. Zeitenwende (476 – 1518)
Die 6. Zeitenwende
umfasste, nach
dem Ende des weströmischen Reiches,
den Zeitraum von der Völkerwanderung
bis zu den neuen Reichen des
Zeitalter, in dem das geschlossene
System christlichen Glaubens alle
Dimensionen des individuellen und des
gesellschaftlichen Lebens vollkommen
durchdrang und kontrollierte.
Der Feudalismus erschuf den Ständestaat, der eine straffe soziale Schichtung einführte. Entscheidende Neuerungen brachte der Boom der
Städtegründungen, die Einführung des Geld– und Bankenwesens. Der Bau von Kathedralen zeugte von der Intensität des Glaubens. Die als „Völkerwanderung“ bezeichnete Epoche reichte noch in die Zeit des
Untergangs des Römischen Reiches hinein. Es war eine Zeit, in der eine „Megadürre“ und Hungersnot herrschte, was vermutlich zu den Ursachen der Migration germanischer Stämme und Gruppen (Goten,
Alamannen, Franken, Vandalen u.a.) zählte. Vor allem aber folgte sie dem Einbruch der Hunnen in den Jahren 375/376 u.Z., die zuerst gegen Ostrom, dann gegen Westrom zogen. Die gefürchteten
asiatischen Reiterkrieger verbreiteten Angst und Schrecken in West- und Südosteuropa. Sie ließen sich im mittleren Donauraum (Ungarn) nieder und weiteten von dort ihre Raubzüge aus. In der Mitte des
5.Jahrhunderts fielen sie unter ihrem Anführer Attila in Gallien ein. Sein Vielvölkerheer wurde aber von einer vereinten Streitmacht aus Franken, Burgunden und Westgoten in der Schlacht auf den
Katalaunischen Feldern 451 erstmals geschlagen. Teile ihres Heeres zogen weiter nach Italien, wo Attila den Marsch auf Rom abbrach. Er starb 453. Das Hunnenreich brach unter seinen Nachfolgern bald
danach zusammen. Die politische und kulturelle Einheit des Mittelmeerraumes war mit dem Ende des römischen Reiches zerbrochen. Nun entstanden nördlich der Alpen neue Reiche. Am bedeutendsten wurde
zunächst das Reich der Merowinger, das sich ab 452 u.Z. über das galloromanische Territorium erstreckte und das Jahrhunderte überdauerte. Ihr bedeutendster König, Chlodwig, trat zum Katholizismus
über. Das Erbe des Merowinger Reiches traten die Karolinger Mitte des 8. Jahrhunderts an. Kaiser Karl der Große begründete mit seiner Selbstkrönung im Jahr 800 in Rom, bei der ihm der Papst
assistierte, das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Es wurde das Zentrum des Christentums, das ein Jahrtausend dauern sollte. Nach und nach zwang es auch den heidnischen Stämmen der Sachsen und
Slawen, teilweise auch mit Gewalt, den neuen Glauben, auf. Nach Karls Tod wurde das Reich unter seine Nachfolgern aufgeteilt. Es folgten weitere Dynastien, Welfen, Ottonen, Salier, Franken und
Staufer, denen es mit unterschiedlichem Erfolg gelang, den Adel zu disziplinieren und die eigene Herrschaft zu stabilisieren. Als im 7./8. Jahrhundert der Islam entstand und danach über Nordafrika
nach Westen expandierte, kam es zu theologischen und kriegerischen Konflikten, die in die Periode der Kreuzzüge mündeten, bei denen abendländische, christliche Heere versuchten, das „Heilige Land“
mit und vor allem Jerusalem zu erobern, was ihnen nur zeitweise gelang. Erst am Ende des Mittelalters konnten christlichen Truppen das europäische Festland Spanien von den arabischen Mauren endgültig
befreien. Dagegen fiel Ostrom mit Konstantinopel 1453 endgültig an die osmanischen Sultane. Im Heiligen römischen Reich deutscher Nation mussten sich die von den mächtigen Kurfürsten gewählten Kaiser
mit der Katholischen Kirche arrangieren, die, streng hierarchisch verfasst, mit Papst, Bischöfen und den Kardinälen an der Spitze, beanspruchte, von Gott selbst eingesetzt zu sein und das gesamte
irdische Leben der Menschen zu regeln und zu kontrollieren. Nur durch die Anerkennung der Autorität der Kirche und ihrer Rituale sollten die Gläubigen die ewige Seligkeit erlangen können. Die Bibel
und andere geistliche Schriften prägten den Alltag. Ketzer, Häretiker und Kritiker des Klerus wurden verfolgt und oft grausam zu Tode gefoltert (Inquisition). Obwohl der Klerus selbst bis in seine
höchsten Spitzenvertreter hin die christlichen Gebote keineswegs immer einhielt, blieb er sakrosankt. Das Diktat der Kirche durfte nicht hinterfragt werden. Die Priester unterlagen dem Zölibat.
Zusätzlich zu der Kaste der Priester entstanden Mönchs- und Nonnenorden, die sich besonders intensiv dem Glauben und der Glaubensverbreitung widmeten. Sie wurden teilweise durch Grundbesitz und
geschicktes ökonomisches Handeln sehr reich (Zisterzienser, Benediktiner, Jesuiten u.a.). Später entstanden auch als Gegensatz zu ihnen sogenannte Bettelorden wie die Franziskaner und Dominikaner,
die direkt dem Papst unterstellt, auf persönlichen Besitz verzichteten und Reformen innerhalb der Kirche anmahnten. Das Verhältnis der geistlichen zur weltlichen Macht wurde im Mittelalter durch den
„Investiturstreit“ bestimmt, in dem es zunächst um das Recht zur Einsetzung der Bischöfe und Äbte ging. Nach der Beilegung dieses Konflikts im 12. Jahrhunderts, blieb der Kampf um die Vorherrschaft
zwischen Kaiser und Papst mit wechselndem Ausgang erhalten. Die Päpste verfügten mit dem Instrument der Exkommunikation über ein scharfes Schwert, das allerdings nicht immer wirkte. Sie waren aber
auch nicht selten vom Schutz durch die weltliche Macht abhängig. Eine erste Kirchentrennung (nach den Abspaltungen in den frühen Konzilen) erfolgte 1054 mit der Verselbstständigung der „orthodoxen“
Kirchen in Russland und auf dem Balkan („morgenländisches schisma“). Die mittelalterliche Gesellschaft war ein Ständestaat, geprägt durch das Feudalsystem. Die jeweiligen Herrscher über das Land (die
Lehnsherren) überließen ihren Gefolgsleuten (Vasallen=Grundherren) landwirtschaftliche Güter und deren Bewohner gegen eine Treuepflicht, die diese zu Abgaben und Dienstleistungen (bei Bedarf auch
militärische Unterstützung) verpflichteten. Die Grundherren ließen ihr Lehen (von den Oberen verliehenes Eigentum) von eigentumslosen Bauern bewirtschaften, die Abgaben zu leisten hatten und der
Rechtsaufsicht ihrer Grundherren unterstanden. Nur die Allmende, das dörfliche Gemeindeland, konnte von den Bauern frei genutzt werden. Gleichzeitig mit dem Feudalsystem entwickelten sich die Städte,
in denen Handel und Handwerk beheimatet war. Vor allem im 12. Jahrhundert nahm die Rodung der Waldflächen, die den größten Teil des Landes ausmachten zu und wich der Gründung von Städten im
Zusammenhang mit der wachsenden Bevölkerung, die dort Aufnahmefand. Für viele Landbewohner boten die Städte die Möglichkeit, der Abhängigkeit von den Grundbesitzern, denen sie tributpflichtig waren,
zu entkommen („Stadtluft macht frei“). Sie konnten als Handwerker oder kleine Kaufleute ihr Auskommen finden. Die Stadtbürgerschaft, von Patriziern dominiert, strebte nach Unabhängigkeit von Kirche
und adligen Grundeigentümern. Einige Städte entwickelten sich schließlich zu freien, unabhängigen Reichsstädten. Eine große Krise löste das Auftreten der Beulenpest im 14. Jahrhundert aus. Der
„schwarze Tod“ raffte Tausende, vor allem in den Städten, hinweg, weil keine ausreichenden Hygienemaßnahmen vorhanden waren. Da die Menschen die Erreger nicht kannten, wurde der Krankheitsausbruch
auf alle möglichen Ursachen zurück geführt: Brunnenvergiftung, Hexerei, Gottes Strafe, und ähnliche, dem Aberglauben geschuldete Ursachen, forderten zur Suche nach Sündenböcken auf. Es kam zu
Pogromen gegen Juden und zu Hexenverbrennungen, die noch bis ins 18. Jahrhundert.nachweisbar sind. Die mittelalterliche Ökonomie war geprägt von parallel laufender Tausch-.und Geldwirtschaft.
Entscheidende ökonomische Neuerungen brachte das Banken- und Geldwesen. Es entstand im Hochmittelalter, weil der wachsende Handel, auch mit fernen Ländern, auf eine sichere Bezahlung angewiesen war,
die über das Wechselgeschäft erfolgen konnte. Einen raschen Anstieg des Kreditwesens brachte auch der Finanzbedarf des Adels und der Herrscherhäuser, die aufgrund wachsender Ausgaben, nicht zuletzt
für Luxuswaren, immer öfter auf Darlehen angewiesen waren. Das machte sie abhängig von großen Handelshäusern wie den Fuggern und Welsern in Augsburg und von jüdischen Geldverleihern, nachdem den
Christen der Geldverleih und das Nehmen von Zinsen als „Wucher“ weitgehend verboten war. Für die Juden, von Grundbesitz und anderen Berufen ausgeschlossen, auch zunehmend in den Städten ghettoisiert,
war der Geldwechsel und der Geldverleih oft die einzige Art zu überleben. Möglich wurden die immer umfangreicheren Handelsgeschäfte durch die in den oberitalienischen Städten entwickelte Buchhaltung
und das dortige Bankenwesen, das auf den Rest von Europa ausstrahlte. Im Spätmittelalter entschlossen sich auch die Kirchen eigene Banken und Pfandhäuser für Zinsgewinne zu betreiben. Zu den
Bereicherungen durch den christlichen Glauben zählte auf kulturellen Gebiet der Bau von romanischen Kirchen, und ab dem 12.Jahrhundert von prachtvollen gotischen Kathedralen, die den romanischen Stil
ablösten. Sie wurden unter großen Anstrengungen zum Ruhm Gottes erbaut, was oft über Generationen hinweg durch Bauhütten möglich wurde. Fortan zierten sie Städte und Dörfer. Nicht selten mit Gold
ausgekleidet wurden sie mit großartigen Altären, Kapellen und Gemälden geschmückt. Die Mönche, zumeist als einzige des Lesens und Schreibens kundig, kopierten die alten, heiligen Schriften und trugen
große Bibliotheken zusammen. Die Philosophen der Scholastik (Thomas v. Aquin, Anselm von Canterbury, Petrus Abaelardus u.a.) entwickelten unter Rückgriff auf die Antike (Plato, Aristoteles, Plotin)
neue theologische Systeme. Die Hochkulturen, die außerhalb Europas entstanden waren, hatten keinerlei Beziehungen zu Europa. In Mittelamerika entstanden ab dem 9. Jahrhundert die Tempelstädte der
Maya auf der Halbinsel Yucatan. Die Inka schufen mit Machu Picchu in Peru auf einer Hochebene eine Tempelstadt, die auch von den spanischen Konquistadoren, die das Inkareich im 15. Jahrhundert
zerstörten, nicht erobert wurde. In Kambodscha entstand mit Angkor Vat ab dem 9. Jahrhundert eine Tempelstadt.
7.
Zeitenwende (1515- 1648)
Die siebte Zeitenwende umfasste die
Periode der frühen Neuzeit mit der
Kirchenspaltung (Reformation und
Gegenreformation), den Bauernkriegen
und den Entdeckungen neuer
Territorien durch die Europäer in
Übersee. Es begann die frühe Periode
der Kolonialisierung. Kulturell schuf die
Renaissance ein
neues Weltbild, das
die Moderne ankündigte, und mit einer
Vielzahl kultureller Höchstleistungen
die bis heute in Erinnerung geblieben
sind und bewundert werden. Mit dem Anschlag der 95 Thesen des Augustinermönchs Martin
Luther an die Tore der Schlosskirche von Wittenberg im Jahr 1515 beginnt die Spaltung der Kirche. Luther prangerte in seiner Botschaft die Abweichungen der Kirche vom „wahren Glauben“, der Lehre Jesu
Christi, an. Einsichten, die er nach einer Romreise gewonnen hatte, bestärkten ihn darin, insbesondere die Ablasspraxis der Kirche, die unter anderem dem Neubau des Petersdoms in Rom diente. Sein
Bibelstudium bestärkte ihn in dem Glauben, zu Gott führe nur der individuelle Weg der Nachfolge Jesu und das Vertrauen auf Gottes Gnade, die aber nicht durch irdische Verdienste oder Spenden an die
Kirche zu erlangen sei. Die große öffentliche Resonanz auf die Thesen, dank der Verbreitung auf Flugblättern, die durch den eben erfundenen Buchdruck von Johannes Gutenberg möglich wurden,
entwickelte eine politische Dynamik, in der Luther der Häresie beschuldigt und zum Reichstag nach Augsburg zum Verhör zitiert wurde. Mit Unterstützung des Augustinerordens und seines Landesherrn,
Kurfürst Friedrich der Weise, verteidigte er dort 1518 seine Thesen. Darauf erließ der Papst 1520 die Bannandrohungsbulle und 1521 die Exkommunikation Luthers, auf die die durch Kaiser Karl V.
verkündete Reichsacht folgte. Während seiner Schutzhaft auf der Wartburg übersetzte Luther die Bibel in die deutsche Sprache und machte sie auch der breiten Bevölkerung zugänglich. Bisher war die
Lektüre nur in der lateinischen Sprache erlaubt und damit den Priestern vorbehalten. Luther und seine reformatorischen Kollegen und Anhänger (Melanchton, Zwingli, Calvin) verbreiteten in Predigten
unter große Zustimmung die neue Lehre. In einigen Städten wurde die heilige Messe schon in deutscher Sprache gelesen. Luther distanzierte sich aber von den kriegerischen Bauern, die 1524-1526 in
gewaltsamen Aufständen, auch gestützt auf seine Botschaft, gegen den Adel revoltierten, aber letztlich unterlagen. Luther starb 1546. Nach seinem Tod formierte sich auf katholischer Seite, vor allem
nach dem Konzil von Trient 1546, die Gegenreformation gegen die evangelische Lehre, den Protestantismus, der sich inzwischen weit verbreitet hatte, vor allem außerhalb des Einflusses der
habsburgischen Kaiser. Die evangelischen Reichsfürsten hatten am Konzil von Trient nicht teilgenommen. Darauf entschloss sich der Kaiser Karl V. zum Erhalt der katholischen Kirche militärisch
einzugreifen. Es kam zum Schmalkaldischen Krieg, der mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 endete und die jeweilige konfessionelle Zugehörigkeit der Reichsstände festlegte („cuius regio eius
religio“). Dieser Friede hielt bis 1618. Nach dem „Prager Fenstersturz“ im Gefolge eines Aufstandes gegen die geplante Rekatholisierung Böhmens brach der Dreißigjährige Krieg zwischen dem Habsburger
Kaiser und den evangelischen Landesfürsten aus, die von Schwedens König Gustav Adolf unterstützt wurden. Dieser verheerende Krieg hatte sowohl religiöse als auch territoriale Aspekte. Er forderte
etwa 6 Millionen Opfer, vor allem im ländlichen Raum, etwa ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland starb durch Krieg; Hungersnöte und Seuchen. Nach wechselnden Vorteilen für eine der beiden Seiten
kam es schließlich 1648 zum Westfälischen Frieden, der bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1806 hielt. Die protestantische Schweiz und die Vereinigten Niederlande lösten sich aus dem
Reichsverband. Parallel dazu begann die Epoche der Eroberung und Kolonialisierung neuer Territorien in Übersee durch europäische Staaten. Christopher Columbus, der im Auftrag der spanischen Könige
handelte, erreichte 1492 die westindischen Inseln, wobei er irrtümlich glaubte, den Seeweg nach Indien gefunden zu haben. Ihm folgten die Konquistadoren, wie Hernan Cortes und Pizarro, die auf der
Suche nach Gold in Mittel- und Südamerika die Staaten der Azteken, Maya und Inka eroberten und der spanischen Krone einverleibten. Karl V. konnte sich bald rühmen, dass in seinem Land die Sonne nicht
unterginge. Portugiesische Seefahrer, unterwarfen sich das brasilianische Territorium. 1494 kam es mit dem Vertrag von Tordesillas zu einer Aufteilung der „Neuen Welt“ zwischen Spanien und Portugal,
die vom Papst unterstützt wurde. Infolge von Kriegsgewalt, Zwangsarbeit und Ansteckungen mit Krankheiten starben Millionen Menschen unter der indigenen Bevölkerung, die dagegen nicht immun war.
Transporte von Sklaven aus Afrika, die als widerstandsfähiger galten, sollten künftig die Plantagenarbeit zu wirtschaftlicher Blüte führen. Mit der Eroberung der neuen Ländereien in Übersee setzte
ein Prozess der zwangsweisen Christianisierung der indigenen Bevölkerung durch christliche Missionare ein, die gleichzeitig die einheimischen Kulte bekämpften. Gegen die dabei angewendeten
gewaltförmigen Methoden wandten sich nur wenige, darunter der Mönch Bartolomè de las Casas, der vergeblich an den spanischen König appellierte, das Leid der einheimischen Bevölkerung zu lindern.
Andere europäische Nationen stützten ihre Kolonialherrschaften auf die Expansion des Fernhandels in andere Erdteile, wo sie sich gegen den Widerstand der dortigen Mächte befestigte Stützpunkte
sicherten. Die Niederländer gründeten dazu 1602 die Vereinigte Niederländische Ostindien-Kompanie und 1621 die Westindische Kompanie, die sich in Asien der Ausbeutung der dortigen Ressourcen
verschrieben. Die Engländer hatten nach der siegreichen Seeschlacht gegen die spanische Armada 1588 ihre Ostindien-Kompanie gebildet (1600) und versuchten, neben dem pazifischen Raum, auf dem
nordamerikanischen Kontinent Fuß zu fassen. Auch auf kulturellem Gebiet vollzogen sich in diesem Zeitraum Neuerungen, die das Weltbild der Menschen entscheidend veränderten. Im Übergang vom
Mittelalter zur Neuzeit brachte die Renaissance eine Wiederbelebung der antiken Kultur, die die Gotik im 15./16. Jahrhundert ablöste. Zunächst in den italienischen Stadtstaaten, später weit über die
Grenzen Italien hinaus, setzt sich der neue Stil durch. Künstler wie Giotto, Michelangelo, Raffael, Botticelli, Dürer u.a. schufen Werke, die heute zu den kulturellen Höhepunkten der
Menschheitsgeschichte zählen. Leonardo da Vinci entwickelte technische Instrumente, die seiner Zeit weit voraus waren. Baumeister wie Brunelleschi oder Palladio erdachten neue Konzepte und gewagte
Konstruktionen für den Bau von Kirchen und Palästen. Niccolò Macchiavelli präsentierte eine politische Schrift (Il principe), die den Fürsten Anleitungen zur Durchsetzung ihres Machtstrebens liefern
sollte. Die Literatur erreichte mit Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ einen Höhepunkt und gegen Ende der Renaissance schuf William Shakespeare mit seinem dramatischen Gesamtwerk ein ganz neues
Genre. Humanistischen Gelehrte gewannen aus dem Studium der antiken Autoren neue Leitbilder für die Gegenwart, die sich von christlichen Vorstellungen absetzten und den Menschen in den Mittelpunkt
rückten. Astronomen wie Giordano Bruno, Galileo Gallilei, Johannes Kepler, Kopernikus oder Tycho Brahe revolutionierten, gegen den Widerstand der Kirche, das Bild vom Universum, bei dem die Erde nun
nicht mehr im Mittelpunkt stand, sondern durch ein heliozentrisches Weltbild abgelöst wurde. Das widersprach den heiligen Schriften der Christenheit, sodass die Forscher teilweise von der Inquisition
verfolgt wurden. In der Philosophie entwarfen Descartes, Pascal, Spinoza und Leibniz neue Welt- und Menschenbilder. 8. Zeitenwende (1648-1789) Das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert ist durch
starke Veränderungen auf den Ebenen der Geopolitik und der Sozialstrukturen charakterisiert. Die Nationalstaaten begannen zur neuen Form des europäische Staatensystems zu werden. In England nahm die
industrielle Revolution ihren Anfang. Gleichzeitig setzte sich mit der Ära der Aufklärung ein neues Welt- und Menschenbild durch, dass sich von der Kirche abwandte. Große Erkenntnisfortschritte in
den Wissenschaften bereiteten die Moderne vor. Beim Baustil, in der bildenden Kunst und Literatur löste die Barockzeit die Renaissance ab und die Klassik kündigte sich an. Nach dem Ende
dreißigjährigen Krieges erholte sich Mitteleuropa nur langsam von den Verheerungen im Land. Das Bevölkerungswachstum war deutlich zurück gegangen und stieg erst im 18.Jahrhundert wieder an. Im 17.
Jahrhundert entwickelte sich das globale Handelsnetz weiter. Während Spanien und Portugal in den Hintergrund rückten, waren es zunächst die Niederlande, die nun die Führung übernahmen und ihren
Einfluss bis nach Südostasien ausdehnten, bevor England als beherrschen Seemacht dominierte. Unter den europäischen Mächten .entwickelten sich gegenläufige Tendenzen in den Herrschaftsformen. Während
in Frankreich die Zentralisierung der Macht mit der Zurückdrängung des Adels den Absolutismus beförderte, der unter Ludwig XIV, dem „Sonnenkönig“ seinen Höhepunkt erreichte, setzte sich in England
das Parlament als einflussreiche Instanz gegenüber der Monarchie durch. Das deutsche Reich blieb aufgeteilt in etwa dreihundert mehr oder wenige große Fürstentümer und freie Städte, die sich gegen
einander abgrenzten, was einen bunten Flickenteppich auf der Landkarte zur Folge hatten. Preußen entwickelte sich unter Friedrich dem Großen allmählich zur fünften Großmacht in Europa, nachdem
Schlesien im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) dem Habsburger Reich entrissen worden war. Der Habsburger Kaiser residierte in Wien und wehrte erfolgreich den Angriff der osmanischen Türken ab, die er
größtenteils vom Balkan vertreiben konnte. Das osmanische Reich, das sich seit dem 14. Jahrhundert ausgedehnt hatte, erreichte seine Grenzen, zumal es auch vom russischen Zarenreich bedrängt wurde.
Außerhalb Europas bildeten sich mit dem Mogulreich in Indien und auch China neue Großmächten. In Nordamerika stießen Frankreich und England bei der Kolonisation mit den indigenen Völkern, den
„Indianern“ zusammen, was aufgrund der überlegenen Waffen der Europäer zu deren Verdrängung und teilweisen Auslöschung führte. Schließlich setzen sich die Engländer in Nordamerika gegen die Franzosen
durch. 1674 übernahmen die Engländer auch alle niederländischen Kolonien an der Ostküste Nordamerikas. Die wachsende Zahl europäischer Auswanderer, die das Land besiedeln wollten, kamen nicht zuletzt
aus religiösen Gründen, um der Verfolgung in ihren Heimatländern zu entgehen (die puritanischen Pilgrim Fathers flüchtetenin nach Amerika). Sie hatten aber wenig Erfolg bei der Missionierung der
Einheimischen. In diesem Zeitraum setzten sich auch in Ökonomie und Technik neue Impulse durch. Die ökonomische Wissenschaft entwickelte mit den englischen Physiokraten und Adam Smith im 18.
Jahrhundert als politische Ökonomie die Grundidee der freien Marktwirtschaft, die den Wirtschaftenden möglichst größte Freiheit zum Wohl aller garantieren sollte. In der Praxis herrschte im
Absolutismus allerdings der Merkantilismus vor, der massive Eingriffe des Staates in die Wirtschaft vorsah, um dem Staat möglichst hohe Einkünfte für seine Ausgaben zu sichern (stehendes Herr,
Beamtenapparat, Bau von repräsentativen Palästen). Demzufolge waren möglichst hohe Exporte und hohe Zölle bei geringen und billigen Rohstoffimporten das Ziel. Vorreiter war Frankreich mit dem
Finanzminister Colbert, der erstmals einen Staatshaushalt einführte. In England begann gegen Mitte des 18. Jahrhunderts in der Textilindustrie die industrielle Revolution, die eine grundlegenden
Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse einleitete und die Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse der Menschen veränderte. England erreichte mit der Erfindung von Maschinen und
der zunehmenden Nutzung von Eisen und Kohle eine neue, gesteigerte Produktivität. Die Erfindung mechanischer Spinn– und Webmaschine, vor allem aber der Dampfmaschine machten England zum führenden
Industrieland. Die übrigen europäischen Staaten folgten mit Verspätung und unterschiedlicher Intensität. Für die Arbeit in den Fabriken bildete sich ein Lohnarbeiterproletariat heraus, das sich zum
Teil aus der pauperisierten Landbevölkerung rekrutierte, die in die Städte strömte. Gleichzeitig gewann die „Aufklärung“, ausgehend von Frankreich und Deutschland, an Bedeutung. Die Philosophie löste
sich von der Theologie und entwarf eigene, die religiösen und traditionellen Weltdeutungen ablehnende Konzepte, die auf dem Vorrang der „ratio“ als entscheidender Instanz der Wahrheitsfindung
gegenüber den Dogmen der Kirche beharrte und für Freiheit und Toleranz plädierte Ihre Hauptvertreter waren in Frankreich: Voltaire, Rousseau, Diderot und d'Alembert, in England: David Hume. In
Deutschland trat der „Zertrümmerer“ Immanuel Kant aus Königsberg mit einer neuen Erkenntnis- und Moraltheorie auf, die mit ihrer Absage an die gesamte Vorgeschichte der Philosophie ein neues
philosophisches Zeitalter einläutete. Seine Nachfolge reicht bis in die Gegenwart. Gleichzeitig war ein Aufschwung der Naturwissenschaften zu verzeichnen, die mit vielen neuen Entdeckungen
aufwarteten (Isaac Newton, Christian Huygens). Gesellschaftspolitisch wuchs vor allem in Frankreich der Unmut der verarmten Bevölkerung gegenüber Adel und Klerus, den Säulen des Feudalismus. 1789
stürzte die französische Revolution die Monarchie, vertrieb den Adel und enteignete die Kirche. Der Dritte Stand, die Bürger, übernahm nun die Macht und strebte auf der Grundlage einer neuen
Verfassung grundlegende Veränderungen der sozialen Verhältnisse an, bei denen die Kirche keine Rolle mehr spielen sollte. An ihre Stelle rückte eine, allerdings kurzlebige, „Religion der Vernunft“.
Im Verlauf der Revolution kam es dann zu gewaltsamen Exzessen mit zahlreichen Hinrichtungen unter der Guillotine. Opfer waren vor allem Adlige, aber auch Kritikern und Konkurrenten der Anführer der
Revolution. Die restlichen europäischen Mächte auf dem Kontinent versuchten vergeblich, die revolutionäre Gewalt einzudämmen. Sie erlagen der revolutionären Wut des französischen Volksheeres. Als der
Usurpator Napoleon sich an die Spitze des französischen Staates setzte und die Revolution beendete, begann ein neues Zeitalter. Parallel dazu hatten in Nordamerika die europäischen Siedler mit einem
Bündnis von 13 agrarischen Staaten, den Vereinigten Staaten, bereits 1776 die Unabhängigkeit von England erkämpft und sich 1787 eine richtungsweisende Verfassung gegeben, ergänzt durch eine
Grundrechtserklärung, die vorbildlich wurde für künftige demokratische Bestrebungen in Europa. In dieser Verfassung wurden erstmals die Gewaltenteilung, rechtsstaatliche Prinzipien und föderale
Strukturen verankert. Auf der kulturellen Ebene löste das Barockzeitalter die Renaissance ab. Ausgehend von Italien verbreiteten sich Bauten in einem neuen Stil. Kirchen, Schlösser und Paläste, die
auf Prachtentfaltung, schwungvolle Formen, Stuckdecken und reiche Innenausstattung angelegt waren, ließen die strengen geometrischen Formen der Renaissance hinter sich. Sie standen im Gegensatz zu
der bewusst kargen Ausstattung protestantischer Kirchenbauten. Dazu gehörten auch großzügige Lustgärten mit Blumenparterres, Wasserspielen und Bosketts. Die französische Festkultur und der Karneval
von Venedig waren Ausdruck des barocken Lebensgefühls, das auch ein besonderes Verhältnis zu Sterben und Tod entwickelte. In der Malerei entstanden in Italien die mit hell/dunkel Kontrasten
konturierten Gemälde des Manierismus von Michelangelo Caravaggio, die den zeitgenössischen Geschmack spiegelten. In den Niederlanden waren die Hauptvertreter: Rubens, van Dyck, Rembrandt und Vermeer,
in Spanien wirkten Velasquez und Murillo. In der Musik löste das moderne Dur-Moll Tonsystem die alten Kirchentonarten ab. Oper, Sonate, Fuge und Oratorium gehörten zu den beliebtesten
Musikdarbietungen, die teilweise auch neue Instrumente erforderten. Bach, Händel, Telemann, Vivaldi, Purcell oder Buxtehude waren die meist gespielten Komponisten. Auf literarischem Gebiet bot
Spanien mit Cervantes, Lope de Vega und Calderon einen eigenständigen Stil, in Frankreich wirkten Molière, Racine und Corneille, in Deutschland glänzten im Barock Grimmelshausen und Gryphius. Ab der
Mitte des 18. Jahrhunderts löste die Klassik das Barock ab. Klopstock, Lessing, Goethe und Schiller läuteten die Ära der deutschen Klassik ein.
9. Zeitenwende (1789-1918)
Die Herrschaft Napoleons I. erschütterte die
überkommene europäische
Staatenwelt und führte zu
neuen Konstellationen und Koalitionen.1806 fand das
„Heilige römischen Reiches deutscher Nation“ sein
Ende.In den Befreiungskriegen nach dem gescheiterten
russischen Feldzug Napoleons, wurde der französische
Kaiser in der Völkerschlacht von
Leipzig und nach seiner Rückkehr
aus dem Exil 1911 in Waterloo entscheidend
besiegt. Mit dem Wiener Kongress 1814/15 setzte sich
die antinapoleonische Koalition durch. Die Rückkehr zur
Monarchie und die „Heilige Allianz“ bewirkten ein
reaktionären System, das
revolutionäre Aufstände
provozierte, die aber 1830 und 1848 niedergeschlagen
wurden. Nach der Mitte des Jahrhunderts gelingen in
Italien und Deutschland die Reichsgründungen. Der
Kolonialismus gewinnt eine neue Dimension.
Das 19.
Jahrhundert wird endgültig zum Zeitalter der
Industrialisierung und des technisch- wissenschaftlichen
Fortschritts unter kapitalistischen Vorzeichen. Als
Gegenbewegung zur Alleinherrschaft der Unternehmer
entsteht die Arbeiterbewegung. Nach der
Jahrhundertwende führte die Konkurrenz der
europäischen Großmächte zum 1.Weltkrieg mit Millionen
Opfern. Die Kunst bricht seit der Jahrhundertwende
endgültig in die Moderne auf.
Der korsische General Napoleon Buonaparte hatte 1799 die Macht übernommen. Er begann sofort, die
europäischen Nachbarländer zu erobern, in denen er dann seine Familienmitglieder als Herrscher einsetzte. Ägypten eroberte er bereits 1798. In Frankreich und den anderen eroberten Ländern führte er
den „code civile“ ein, ein modernes Zivilrecht, das auch den Juden die Emanzipation brachte und verbot den Sklavenhandel. 1804 ließ er sich zum Kaiser der Franzosen küren. 1806 beendete er das
Heilige Römische Reich, das ein Jahrtausend lang bestanden hatte. Seine Gegenspieler: Großbritannien, Österreich-Ungarn, Preußen und Russland schlossen sich zusammen, unterlagen allerdings in einigen
Schlachten. Erst als Napoleons bei seinem Feldzug nach Russland 1812 scheiterte, wurde er schließlich 1814 in den Befreiungskriegen geschlagen und verlor seine Kaiserwürde. Aus dem Exil auf der Insel
Elba zurückgekehrt, versuchte er noch einmal, die Macht an sich zu reißen, musste aber im Juli 1815 bei Waterloo gegenüber der britischen und preußischen Armee kapitulieren. Sein Leben endete 1821 in
der Verbannung auf der Insel St. Helena. Mit dem Wiener Kongress 1814/1815 unter Beteiligung von rund 200 Teilnehmern aus europäischen Staaten wurde unter der Leitung des österreichischen
Außenministers Metternich eine territoriale Neuordnung Europas mit neuen Grenzen beschlosen, die die Annexionen rückgängig machten. Anschließend wurde von Russland, Österreich und Preußen die
„Heilige Allianz“ gebildet, der außer Großbritannien alle übrigen Staaten Europas beitraten. Sie war für eine Friedensregelung errichtet wurde, ohne dass dies in der Folgezeit immer gelang.
Stattdessen konzentrierte man sich auf die Unterdrückung von Freiheitsbestrebungen. In Frankreich übernahm nach der Revolution von 1848 Napoleon III.die Macht und regierte bis 1870. Auf dem
ehemaligen deutschen Reichsterritorium war der deutsche Bund gegründet worden, ein lockerer Zusammenschluss der Kleinstaaten und freien Städte, der den Drang nach deutscher Einheit, der vor allem die
Jugend beseelte, nicht gerecht wurde. Er bestand bis 1866, um dann in den Prozess der Reichseinigung unter preußischer Führerschaft einzugehen. Befördert wurde in diesem ersten Halbjahrhundert in
ganz Europa die Ausbildung nationaler gegeneinander sich abgrenzender Staaten, die sich in Konkurrenz zueinander zu behaupten suchten. Nationalistische Bewegungen, die sich auf völkische Ideologien
gründeten, beherrschten die öffentlichen Diskurse. Mit der Revolution von 1848 setzte sich in Deutschland erstmals, allerdings nur für kurze Zeit, die demokratische Idee durch und gewann im
Frankfurter Paulskirchenparlament an Bedeutung. Der Versuch, eine konstitutionelle Monarchie zu etablieren mit starker parlamentarischer Repräsentanz scheiterte an der Weigerung der Monarchien, sich
darauf einzulassen. Unter der Führung Preußens durch den Reichskanzler Otto von Bismarck gelang nach einem provozierten Krieg gegen Frankreich 1870 die deutsche Einigung als „kleindeutsche“ Lösung
mit der Kaiserkrönung Wilhelms I. in Versailles. In den folgenden Jahren bemühte sich Bismarck bis zu seiner Entlassung 1890 durch den Kaiser um eine europäische Machtbalance. In Frankreich wurde
1870 Napoleon III. gestürzt und für kurze Zeit siegte die Pariser „Commune“. Österreich-Ungarn blieb ein Vielvölkerstaat mit wachsenden inneren, nationalistisch motivierten Konflikten mit massiven
Unabhängigkeitsbestrebungen. In Italien gelang es der savoyischen Dynastie in Piemont, mit der Hilfe des Revolutionärs Giuseppe Garibaldi einen Großteil des Landes zu vereinen und den Kirchenstaat
auf den Bereich des Vatikans in Rom zu schrumpfen. In Großbritannien gewann eine liberale, parlamentarische Regierung die Macht zu Lasten der Monarchie, die mehr und mehr auf repräsentative
Funktionen reduziert wurde. In Russland bestand das zaristische Regime unverändert bis 1917 weiter. Das 19. Jahrhundert ist vor allem das Zeitalter der Industrialisierung. Nach den Ansätzen im
England der 18. Jahrhunderts verbreitete sich die neue, von neuen Energiestoffen angetriebene Maschinenwelt mit ihren Fabriken über ganz Europa und löste endgültig die seit Tausenden von Jahren
dominierende Vorherrschaft der Agrargesellschaft, obwohl die noch lange nebenbei herlief (vor allem im großagrarischen preußischen Osten). Die Bedeutung des Adels für die gesellschaftlichen
Herrschaftsverhältnisse nahm ab zugunsten des aufsteigenden Bürgertums. Mit der Verbreitung des Fabrikwesens gewann der Kapitalismus eine neue Dimension. Das Unternehmertum wird zum Ausbeuter der
Arbeitskraft und erzeugte ein Proletariat, das sich aus arbeitslosen Handwerkern und besitzlosen Landarbeitern rekrutierte. Die teilweise unmenschlichen Arbeitsbedingungen im „Manchesterkapitalismus“
riefen allmählich Widerstand bei den Arbeitern hervor und mündeten in die Entstehung der Arbeiterbewegung. Nach Ansätzen in der Revolution von 1848 bildeten sich in Deutschland die ersten
Gewerkschaften (nachdem in England schon länger Arbeitsunionen bestanden). In Frankreich entstand der radikalere Syndikalismus. Unter dem Einfluss von Marx und Engels entwickelte sich die deutsche
Sozialdemokratie. 1863 gründet Ferdinand Lasalle mit dem „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ die erste deutsche Arbeiterpartei, aus der die SPD hervorging. Sie wurde von Reichskanzler Bismarck
scharf bekämpft, der sie 1890 verbot und durch ein sozialpolitisches Programm mit Arbeitslosen- und Krankenversicherung vergeblich zu marginalisieren suchte. Nach der Jahrhundertwende wurde die SPD
zur stärksten Partei im Reichstag. Sie stellte dort die Opposition. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder überstieg die Millionengrenze. Der erhoffte revolutionäre Umsturz gelang aber nicht, es blieb
bei einer radikalen Rhetorik. Die wissenschaftlich-technische Revolution trieb mit der Nutzung von Elektrizität, Stahl und Erdöl das Wachstum der Industrie an, die zunehmend die Fließbandproduktion
einführte. Die vielleicht entscheidende Erfindung war die zunächst mit Dampf betriebene Eisenbahn, die bislang unerwartete Mengen an Gütern und Mengen an Personen beförderte, sich ab 1930 über allen
Kontinente verbreitete und so die Grundlagen für die Expansion der Industrie legte. Am Ende des Jahrhunderts erfuhren die Menschen nach der Eisenbahn mit der Erfindung des Automobils und dem
Otto-Motor ein nochmals gesteigertes neues Mobilitätsgefühl, das allerdings zunächst nur der sozialen Oberschicht zugute kam. Allmählich verdrängte aber das Auto die Kutschen und führte schließlich
zu einer Stärkung der Individualität. Die Masse der arbeitenden Menschen musste sich mit dem Fahrrad begnügen. Schreibmaschinen, Telegraf und Telefon revolutionierten die Kommunikation über weite
Distanzen. In der Medizin gab es deutliche Fortschritte mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen, dem Erreger der Tuberkulose, bei der Anästhesie, der Hygiene im Kindbett, den Impfstoffen gegen
Milzbrand, Tollwut, Diphterie und Cholera. Schließlich wurden auch die medizinischen Instrumente entscheidend verbessert. Das 19. Jahrhundert brachte auch den Aufstieg der Presse. Zwar gab es schon
nach Erfindung des Buchdruck im 15. Jahrhundert bald erste „zeytungen“, aber nun gab es die Massenpresse, die durch Innovationen im Bereich der Druckerpressen möglich wurde im Einklang mit der
wachsenden Alphabetisierung (1871 können 88 % der Deutschen lesen). Damit entstand eine neue Form der Öffentlichkeit. Gleichzeitig wurde 1819 eine Pressezensur eingeführt, die das
Paulskirchenparlament 1848 abschaffte. Im Reichspressegesetz von 1874 wurde dann die Pressefreiheit gesetzlich verankert. Vor 1914 gab es in Deutschland 4000 Zeitungen. In dieser Zeit verstärkte auch
die Frauenbewegung ihren Kampf für die Gleichstellung der Frauen, die Olympe de Gouges schon in der französischen Revolution gefordert hatte.. In den USA setzten sich Frauen für die Bürgerrechte der
Sklaven und Gleichberechtigung der Frauen nach den Grundsätzen der Verfassung ein. (Declaration of Sentiments, 1848). In England forderten die „Suffragetten“ das Wahlrecht für Frauen, erhielten es
aber - eingeschränkt - erst 1918 und vollständig 1928, während es schon 1893 in Neuseeland und 1902 in Australien eingeführt wurde. Es folgten bis 1917 Dänemark, Finnland und Russland und weitere
Nationen nach dem 1. Weltkrieg im 20. Jahrhundert. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sah in Deutschland, Österreich und Frankreich die Entstehung eines militanten Antisemitismus, der die
traditionelle christliche Feindschaft gegen die Juden auf eine neue pseudowissenschaftliche Basis, die Rassenfrage, stellte und versuchte die im Code Civil verankerte Emanzipation der Juden
rückgängig zu machen.. Als Reaktion darauf bildet sich der von Theodor Herzl proklamierte Zionismus, der für eine Rückkehr der Juden nach Israel/Palästina wirbt und unter Juden in ganz Europa
Anhänger findet. Im 19. Jahrhundert gewann der Kolonialismus eine neue Dynamik, ausgehend vom Rohstoffbedarf der Industrie und der Gier nach Reichtum. Die europäischen Mächte (aber auch Japan)
unterwarfen Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika, die sogenannten „Naturvölker“ mit der Begründung ihrer kulturellen und „rassischen“ Überlegenheit. Daraus entwickelte sich der Imperialismus,
der seinen ersten Höhepunkt 1880 mit der Aufteilung Afrikas unter die europäischen Nationen auf der Berliner Konferenz unter Leitung des Reichskanzlers Otto von Bismarck erreichte. Die Konflikte über
den Kolonialbesitz dauerten allerdings an und bildeten ein weiteren Grund für den 1.Weltkrieg, bei dem das Deutsche Reich seinen Kolonialbesitz einbüßte. Die Kolonien sorgten nicht nur durch die
Ausbeutung von Rohstoffen für die Reichtumsmehrung, sondern vor allem durch den Handel mit Sklaven aus Afrika für die Plantagen in den USA und in der Karibik.. Unter den Kolonialmächten war
Großbritannien führend, das mit Indien die bedeutendste Kolonie besaß, während sich Portugal und Spanien in Lateinamerika und Afrika Kolonien sicherten. Frankreich konzentrierte sich auf Westafrika,
Deutschland auf Ost- und Südwestafrika, Togo und Kamerun. Die Niederlande okkupierten Indonesien, sodass am Ende des Jahrhunderts etwa die Hälfte der Weltbevölkerung unter der Kolonisation litt. In
China endet 1912 durch eine Revolution das zweijahrtausend alte Kaisertum. Darauf folgten nach zwei kurzen Versuchen, eine Republik zu installieren, bürgerkriegsähnlich Zustände. In den USA
entwickelte sich gegen Ende des Jahrhunderts ein Monopolkapitalismus der großen Konzerne (J.P. Morgan, J.D.Rockefeller, A. Carnegie), die Streiks der Arbeiter mit Polizei und Militär abzuwehren
versuchten. Steuern wurden nicht erhoben. Die großen Magnaten rivalisierten mit ihrer Philantropie und einem weitgespannten Mäzenatentum. Anfangs des Jahrhundert setzten sich die „Progressisten“
durch, die die Macht der Wirtschaftsbosse beschnitten. In Europa nahm die Konkurrenz unter den Staaten zu, forciert insbesondere durch den Versuch des Deutschen Kaiserreichs mit einer
Flottenaufrüstung die beherrschende Seemacht der Briten infrage zu stellen. In Deutschland gewann die Kriegspartei in der Regierung die Oberhand. Das führte 1914 nach dem Attentat eines serbischen
Studenten auf den Habsburger Thronfolger nach der Kriegserklärung Österreichs und Deutschlands an Russland, das von der Entente, später auch von den USA; unterstützt wurde, zum Ersten Weltkrieg. Im
Deutschen Reich stellte sich die Mehrheit der Sozialdemokratie hinter den Kaiser und seine Kriegspolitik. In der Folge kam es an der Westfront zu einem jahrelangen Stellungskrieg, bei dem keine der
Parteien entscheidende Vorteile errang und bei dem zum ersten Mal Panzer und Flugzeuge eingesetzt wurden. An der Ostfront war das Deutsche Kaiserreiche erfolgreich. Nach dem Friedensschluss von
Brest-Litowsk 1917 brach in Russland die Revolution unter der Führung der Kommunisten aus, die den Zaren vertrieb. Der Krieg endete 1918 nach der Erschöpfung der Ressourcen der deutschen Armee mit
dem Sieg der Entente und dem Friedensvertrag von Versailles. Der Krieg forderte ungefähr 20 Millionen Opfer. Das 19. Jahrhundert war trotz der dominierenden Industrialisierung eine Blütezeit der
Künste, die neue Dimensionen eröffnete. Der Künstler wurde zunehmend von der höfischen Umgebung unabhängig und musste sich auf dem Markt bewähren. In der Literatur folgte in Deutschland auf die
ausgehende Klassik die Romantik, der Realismus und Naturalismus, um dann das Anbrechen der Moderne in Prosa und Lyrik zu erleben. In Frankreich und Russland erschienen ebenso wie in England und den
USA die großen Romane. In Italien glänzte die Oper. In der Malerei kündigte sich mit dem Impressionismus ein radikaler Bruch mit der akademischen Malerei an, der dann mit Expressionismus und Kubismus
fortgeführt wurde. Die Architektur wurde weitgehend von einem Historismus bestimmt, der seine Vorbilder aus der Antike bis zum Mittelalter und den folgenden Stilperioden entnahm. Die Philosophie
erreichte mit dem deutschen Idealismus und der Kritik an ihm (Hegel, Fichte, Schopenhauer, Nietzsche) einen Höhepunkt, der bis ins 20. Jahrhundert die akademische Philosophie prägte. Als
Gegenbewegung entstanden in Frankreich der Positivismus (Comte), der später die angelsächsische Philosophie dominierte und die Lebensphilosophie (Bergson).
10. Zeitenwende (1918 -1945)
Der Versailler Friedensvertrag
von 1918 und seine Folgen führten
zunächst zur
Demokratisierung Deutschlands und Österreichs in
Form von Republiken. Ihr Scheitern beförderten das
Aufkommen des Faschismus in Italien und
Deutschland, später auch in
Spanien und Portugal.In der Sowjetunion entfaltete
sich die kommunistische Parteidiktatur mit der
Machtübernahme Stalins. Der ökonomische Aufstieg
der USA und die
Weltwirtschaftskrise von 1928
hatten gravierende Folgen für die gesamte Welt.
Hitlers Machtübernahme in Deutschland, der
Ausstieg aus dem Völkerbund und die Aufrüstung
der Wehrmacht führten schließlich zum 2. Weltkrieg,
der in Europa und Asien ausgetragen wurde. Die
Verfolgung und die
Entrechtung der Juden gipfelte im
Holocaust mit Millionen Opfern. Kunst, Architektur und
Philosophie sorgten in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts für völlig neue Impulse.
Nach dem Waffenstillstand
im Wald von Compiègne am 11. November 1918 beendete der Friedensvertrag von Versailles den 1. Weltkrieg. Er wurde zwischen dem Deutschen Reich und den Siegermächten (Frankreich, Großbritannien, die
USA) und deren Verbündeten geschlossen. Gleichzeitig wurde der Völkerbund gegründet. Der Vertrag, an dessen Abschluss Deutschland nicht teilnehmen durfte, stellte die alleinige Verantwortung
Deutschlands für den Krieg fest. Es wurde zu Gebietsabtretungen (Elsaß-Lothringen) und zu hohen Reparationszahlungen an die Verbündeten verpflichtet. Das Militär musste abrüsten. Vor allem Frankreich
beharrte darauf, gegen den Willen des amerikanischen Präsidenten Wilson. Deshalb unterzeichneten die USA den Vertrag nicht und schlossen mit Deutschland 1921 einen Sonderfrieden. In Deutschland
verließ der Kaiser (und sein Gefolge) nach der Kapitulation Deutschland und ging ins holländische Exil. Mit ihm dankten auch alle Landesfürsten ab und der Adel erlitt einen harschen
Bedeutungsverlust. Der von den Deutschen als zu hart empfundene Versailler Vertrag trug in der Folge wesentlich zum Erstarken der nationalistischen Parteien im Reichstag bei und bewegte die
sogenannten Freikorps (illegale Milizen) zu Mordanschlägen auf führende Politiker, die dem Vertrag zugestimmt hatten. In Berlin hatten der Sozialdemokrat Scheidemann und der Kommunist Liebknecht
bereits am 9. November 1918 unabhängig von einander die Republik ausgerufen. Daraufhin kam es zur „Novemberrevolution“ zu ersten Straßenkämpfen gegen die die sozialdemokratische Regierung Ebert, die
die Reichswehr zu Hilfe rief. Die SPD hatte sich in USPD, (aus der später die KPD hervorging) und MSPD. Die nationalistischen Freikorps hatten inzwischen eingegriffen und zerschlugen die
Räterepubliken (u.a. in München, Bremen). Nach der Ausschaltung der Kommunisten (Ermordung ihre Führer Wilhelm Liebknecht und Rosa Luxemburg) wurde am 14. August 1919 in Weimar die erste
demokratische Verfassung in Deutschland vom Reichstag beschlossen. Die Rechte von Reich und Bundesstaaten wurden abgegrenzt, die Frauen erhielten erstmals das Wahlrecht, die Grundrechte wurden in der
Verfassung verankert und die Regeln des Parlamentarismus und der Parteien festgelegt. Der Reichspräsident wurde mit Sondervollmachten ausgestattet und die Reichsregierung sollte alle vier Jahre
wieder zur Wahl stehen. Damit war im Deutschen Reich rechtlich ein vollkommener Bruch mit der vergangenen Monarchie zustande gekommen. Im Bewusstsein von großen Teilen der Bevölkerung, vor allem im
Beamtenapparat. bestanden dagegen große Vorbehalte gegen das neue Regime und eine tiefe Sehnsucht in Teilen des Volkes nach der alten Zeit. Das wurde geschürt durch die harten Vertragsbedingungen von
Versailles, durch die Feindschaft gegen Frankreich, das 1923 das Rheinland besetzt hatte, weil Deutschland seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen war. 1923 war es dadurch zu einer
Hyperinflation gekommen, bei der die ersparten Vermögen vieler Menschen vernichtet wurden. Die extrem nationalistische Partei Hitlers, die NSDAP, lieferten sich nach dem Ausbrechen der
Weltwirtschaftskrise mit einer wachsenden Arbeitslosigkeit Straßenschlachten mit den Kommunisten und konnten Anfang 1933 mit Unterstützung des Reichspräsidenten die Regierungsmacht. In kurzer Frist
entmachtete Hitler alle konkurrenten Organisationen (Gleichschaltung), die Juden wurden schrittweise entrechtet und die Regimegegner flohen ins ausländische Exil, vorwiegend nach Frankreich, England
und die USA. Mit einer forcierten Aufrüstung erreichte Hitler eine Verbesserung der Wirtschaftslage. Er verließ den Völkerbund, unterstützte zusammen mit dem italienischen „Duce“ Mussolini die
spanischen Faschisten im Kamopf gegen die Sozialisten und Anarchisten. Auf den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, folgte die Besetzung des Sudetenlandes und später seine Eingliederung als
Protektorat. Der Versuch mit dem Münchner Abkommen 1938 eine Friedenslösung zwischen den großen europäischen Mächten scheiterte. Hitler überfiel im Ende August 1939 Polen, nachdem er mit Stalin einen
Nichtangriffspakt geschlossen hatte. Der 2. Weltkrieg hatte begonnen, in dem Deutschland mit Russland und Japan eine Allianz bildete, die den Westalliierten gegenüberstand. .In mehreren
„Blitzkriegen“ unterwarf er Frankreich, Dänemark, Norwegen, Belgien, die Niederlande und Balkanländer, teils in Kooperation mit einheimischen Nazisympathisanten. Es gelang ihm aber nicht, England,
das von den USA unterstützt wurde, zu überwinden. Hinter der Front begannen SS und Polizeitruppen, teilweise unterstützt von einheimischen Nazis, Juden und Widerständler massenhaft zu ermorden oder
ins Getthos zu bringen, von dort später in Vernichtungslager, für die „Auschwitz-Birkenau “ heute als Symbol gilt. In diesen Lagern wurden Menschen aus ganz Europa zusammengepfercht, als
Zwangsarbeiter in der deutschen Industrie beschäftigt oder in Gaskammern umgebracht. Der „Holocaust“ kostetet rund 6 Millionen Juden, Sinti und Roma, Polen und Mitglieder anderer Nationen das Leben.
1941 erklärte Hitler dann der Sowjetunion trotz eines vorhergehenden Nichtangriffspaktes Stalin den Krieg und stieß zunächst bis weit nach Russland hinein vor, bis vor die Tore Moskaus und
Leningrads, musste sich dann aber, als sich die Rote Armee, unterstützt von den Amerikanern, konsolidierte, zurückweichen und verlor Anfang 1943, eingekesselt in Stalingrad die entscheidende Schlacht
im 2. Weltkrieg. Damit begann der deutsche Rückzug, während von Westen her alliierte Bomberflugzeuge die deutschen Städte, wichtige Industrieanlagen und Verkehrswege teilweise total zerstörten mit
großen Verlusten für die deutsche Zivilbevölkerung. In den Konferenzen von Casablanca, Teheran und Jalta planten Roosevelt, Churchill und Stalin die Nachkriegsordnung. Am 8. Mai 1945 kapitulierte die
deutsche Wehrmacht, nachdem Hitler und Teile seiner Entourage sich einige Tage vorher im Führerbunker in Berlin angesichts des Vorrückens der Roten Armee selbst umgebracht hatten. Deutschland war,
vor allem In den Städten, zum Trümmerland geworden. Die USA kämpften gleichzeitig an der pazifischen Front gegen Japan, das seit 1937 Korea, die Mandschurei, Teile von China und Südasien unter seine
Gewalt gebracht hatte. Nach dem Überfall der Japaner auf den amerikanischen Stützpunkt Pearl Harbor, verstärkten die USA ihre Flotte und zwangen Japan nach dem Abwurf von zwei Atombomben auf die
Städte Hiroshima und Nagasaki im August 1945 zur Kapitulation.
Die 11. Zeitenwende (1945-1990)
Nach der Kapitulation des
Naziregimes 1945 wurde das
besetzte
Deutschland in vier Zonen
aufgeteilt.
Daraus entstanden 1949 zwei
deutsche
Staaten: BRD und DDR.
Erstmals wurden Kriegsverbrecher vor
Gericht gestellt und
verurteilt.
1945 wurden die UN und ihre
Unterorganisationen gegründet.
Wenig später entwickelte sich der „Kalte Krieg“
zwischen den neuen Weltmächten USA und
Sowjetunion. Mit dem
Aufstand in Indonesien gegen die
Kolonialmacht begann der Entkolonisierungsprozeß,
der sich über Jahrzehnte hinzog.
Die
Ökonomie ist seit 1950 weltweit bestimmt durdie
„great acceleration“ im Rahmen einer kapitalistischen
Globalisierung, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts
ihre Kehrseite, die ökologische Katastrophe, enthüllte.
Der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8.Mai folgte die Besetzung Deutschlands durch die Siegermächte, die de östlichen Provinzen (Ostpreußen, Schlesien und Hinterpommern) Polen
zuschlugen, dass selbst Teile von Ostpolen an die Sowjetunion verlor. Der Rest Deutschlands wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt, Berlin in vier Sektoren. Im Nürnberger Prozess 1946 wurden
erstmals in der Menschheitsgeschichte Kriegsverbrechen vor Gericht verhandelt. Die oberste Führungsschicht des Aggressors wurde zum Tode verurteilt, in Nachfolgeprozessen wurden weitere Beteiligte
mit Gefängnis bestraft. Die allgemeine Entnazifizierung der Bevölkerung scheiterte allerdings weitgehend an den Mängeln des neuen Systems, das zu Leugnungen der Beteiligung an den Verbrechen
animierte. Dazu kamen ab 1947 zunehmende weltpolitischen Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion, die in einem „Kalten Krieg“ gipfeln, der bis 1990 anhielt. Stalin hatte die UdSSR mit einer
Reihe von Satellitenstaaten in Osteuropa umgeben, während das westliche Bündnis von den USA dominiert wurde. Aus dieser Situation entstanden 1949 zwei deutsche Staaten: die Bundesrepublik
Deutschland, die sich den marktwirtschaftlichen, demokratischen Staaten anschloss und die kommunistische Deutsche Demokratische Republik, die dem sowjetischen Imperium einverleibt wurde. Sie blieb in
der Folgezeit wirtschaftlich gegenüber dem Westen zurück, der von den USA mit dem Marshallplan unterstützt wurde. Militärisch wurden beide Staaten in die jeweiligen Bündnissysteme, NATO und EWG
einerseits, Warschauer Pakt andererseits eingegliedert. Die beiden deutschen Staaten, die von einem „eisernen Vorhang“ getrennt wurden, entwickelten sich gegensätzlich. Die BRD, auf der Basis ihres
Grundgesetzes, das die notwendigen Konsequenzen aus dem Scheitern der Weimarer Republik zog, wurde zu einer liberalen Demokratie mit einer sozialen Marktwirtschaft, während die DDR in Abhängigkeit
von der UdSSR zu einer kommunistisch gelenkten Diktatur mutierte, die eine staatliche Planwirtschaft etablierte. Auf globaler Ebene wurden am 26. Juni 1945 von 51 Staaten die Vereinten Nationen (UN)
gegründet, die mit ihren Unterorganisationen ab 1946 zu arbeiten begann. Eine regelmäßige Vollversammlung und ein Sicherheitsrat aus wenigen ausgewählten Nationen, die per Veto Entscheidungen
verhindern konnten, prägten das System, das in der Folge aber ohne eigene Sanktionsmacht nur ein begrenztes Durchsetzungsvermögen entwickeln konnte. Eine erste bedeutende Entscheidung fällten die UN
1949 mit der Anerkennung eines Staates Israel auf palästinensischem Boden. Dies führte sofort zu einem konzentrierten Angriff arabischer Staaten auf Israel, das sich aber erfolgreich verteidigte.
Damit begann eine anhaltender Serie israelisch-arabischer Konflikte, die in mehreren Nachfolgekriegen ausgetragen wurden, was zum Exodus von Millionen Palästinensern in Flüchtlingslager der
Nachbarstaaten führte. Ein Konflikt, der bis in die Gegenwart anhält. Ein weiterer. länger anhaltender Krieg, diesmal zwischen Ost und West, wurde mit dem Überfall des kommunistischen Nordkorea 1950
auf Südkorea ausgelöst, das militärische Unterstützung seitens der USA erhielt. Nach dreijährigen Kämpfen endete der Krieg mit einer Grenzziehung am 38. Breitengrad, der einen bis heute zweigeteilten
Staat hinterließ. Von 1955 – 1975 unterstützten die USA das südvietnamesische, westlich orientierte Regimes gegen den Einfall des kommunistischen Nordvietnam. Der lange Bürgerkrieg, der von
Nordvietnam als Guerillakrieg geführt wurde, endete mit der Niederlage der USA, die eine Vereinigung Vietnams unter Führung Nordvietnams nicht verhindern konnten. Insgesamt fanden von 1945 bis heute
mindestens 140 kriegerische Auseinandersetzungen, darunter Kriege zwischen Staaten, Bürgerkriege, Aufstände und bewaffnete Konflikte aller Art statt, die Millionen Tote beim Militär und der
Zivilbevölkerung gekostet haben (s. Liste im Anhang). K.J.Gantzel zählt dagegen bereits 184 für die Zeit von 1945 bis 1992 mit 12,54 Millionen Toten und konstatiert als meistbeteiligte Nationen:
Großbritannien, Indien, USA, Irak, Frankreich, China und Syrien, die an fast ¼ aller Auseinandersetzungen beteiligt waren (s. Nachweis Gantzel im Anhang). Mit dem Ende der Sowjetunion endete nach dem
Fall der Berliner Mauer 1990 vorerst der Kalte Krieg. Als Nachfolgeregime der UDSSR entstand die russische Föderation. Die vormaligen Satellitenstaaten der UdSSR wurden wieder zu eigenständigen
Staaten und wendeten sich zum großen Teil Westeuropa zu. Als der russische Präsident Putin sich 2014, die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim einverleibt, und 2022 die Ukraine, die sich ebenfalls
nach Westen orientierte, militärisch überfiel, erneuert sich der alte Ost-West Gegensatz. Die Nato-Staaten, inklusive der USA, unterstützen die Ukraine, sodass sich der Krieg über Jahre hinzieht,
ohne dass es der SU gelingt, das Regime in Kiew zu stürzen. In den Jahren ab 1945 begann mit einem Aufstand der einheimischen Bevölkerung Indonesiens auch der Kampf um die Dekolonisation gegen den
zähen und blutigen Widerstand der Kolonisatoren (vor allem Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal Belgien und Niederlande), der nur allmählich zu Erfolgen führte. England verlor bereits 1947
Indien und musste den meisten seiner Kolonien Stück für Stück die Unabhängigkeit einräumen, konnte sie aber im Commonwealth weiterhin an sich binden. Frankreich hielt nach der Entkolonisierung seiner
westafrikanischen Kolonien weiterhin enge ökonomische und politische Kontakte aufrecht. Algerien, Tunesien und Marokko trennten sich, teilweise nach kriegerischen Auseinandersetzungen, vom
„Mutterland“. Spanien und Portugal hatten ihre lateinamerikanischen Kolonien schon früher verloren. Die Staaten, die in Mitteleuropa und Zentralasien bisher unter sowjetischer Herrschaft lebten,
erhielten nach dem Zusammenbruch der SU 1991 ihre Selbstständigkeit wieder und schlossen sich größtenteils der Europäischen Union, teils auch der Nato an. Ein neues bedrohliches Phänomen zeigte sich
seit den siebziger Jahren mit den verschiedenen Terrorformen des politischen Islamismus (Al Kaida, Islamischer Staat, Al Schaabab, Huthi-Milizen, Taliban), die nach zunächst vereinzelten
Terrorattacken ihre Höhepunkte in der Zerstörung der Türme des World Trade Centers in New York 2001 und der Ausrufung des Kalifats des IS im Irak und Syrien fanden. Diese Bedrohung hält an und hat
bereits viele Opfer, auch in Europa, gefunden. Im Hintergrund unterstützt der Iran die Terrorgruppen finanziell und ideologisch, während die arabischen Regierungen sie bekämpfen. 2022 überfiel die
Hamas, die den Gaza-Streifen beherrscht, ein israelisches Festival und einige Kibbuzim an ihrer Grenze und ermordete über 1000 Israelis, vergewaltigte Frauen und nahm über 200 Geiseln. Israel schlug
mit steigendem militärischen Einsatz zurück, was zur Zerstörung der dortigen Städte und zivilen Einrichtungen mit zehntausenden Toten unter der palästinensischen Zivilbevölkerung führte. Es kam zu
weltweiten propalästinensischen Demonstrationen. In Westeuropa haben sich seit den fünfziger Jahren, ausgehend von der Montanunion über die EWG und die EG zur Europäischen Union (EU), eine Reihe von
Staaten ökonomisch und politisch enger zusammen gefunden. Mittlerweile sind es 27 Mitgliedstaaten, die in der EU zusammengeschlossen sind. Organisatorisch in Rat, Kommission und Parlament gegliedert,
gelang es bisher nur, einen Teil der beteiligten Staaten für eine gemeinsame Währung (Euro) zu gewinnen und ökonomische Standards zu vereinheitlichen. Trotz einiger interner Querelen stellt die EU
ein bedeutendes wirtschaftliches Schwergewicht dar, das in Konkurrenz mit den USA, Russland und China den Weltmarkt dominiert. In der jüngsten Zeit mehren sich autoritäre, rechtspopulistische Systeme
auf Kosten demokratisch geführter Regierungen. In einem wachsenden Ausmaß von Staaten tendieren die Wahlberechtigten zu rechtsextremen Parteien. Neuerdings drohen die seit langem bestehenden
transatlantischen Beziehung Westeuropas mit den USA nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten sich radikal zu verschlechtern. In der Ökonomie kommt es ab 1950 zur sogenannten „great acceleration“.
Alle relevanten Indikatoren des Wirtschaftssystems schnellten exponentiell in die Höhe: Wirtschaftswachstum, Bevölkerungswachstum, Ausbeutung der fossilen Energien und lukrativer Mineralien,
Massenkonsum, Wasserverbrauch und Abwasseranfall, Düngemittelanwendung, Kunststoffprodukte, Abfallmengen, energiebetriebene Mobilität, Massentourismus, Flüchtlingsströme nach Europa und in die USA
etc... In allen gesellschaftlichen, aber auch in vielen privaten Bereichen galt die Devise: „mehr und noch mehr“. Bereits 1944 war der Dollar als internationale Leitwährung auf der Konferenz von
Bretteon Woods eingeführt worden, was feste Währungskurse vorsah und die US-Wirtschaft privilegierte. Erst 1972 ging man wieder zu flexiblen Wechselkursen über. Die Wirtschaft globalisierte sich
trotz zwischenzeitlicher Bankkrisen und kurzer Rezessionsperioden in hohem Tempo. Bisher ökonomisch wenig hervorgetretene Wirtschaftsnationen entwickelten sich zu Schwellenländern. Vor allem China
holte nach Überwindung der Kulturrevolution rasch auf und wurde aktuell zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht nach den USA und vor Deutschland. Während sich die deutsche Bevölkerung in den fünfziger
Jahren unter dem christdemokratischen Kanzler Konrad Adenauer auf den Wiederaufbau konzentrierte und die nationalsozialistische Vergangenheit zu verdrängen und zu vergessen versuchte, was zu einem
dumpfen konservativen Milieu führte, begehrten in den sechziger und siebziger beachtliche Teile der jungen Generation auf und konfrontierten die ältere Generation mit den Erinnerungen an den
Holocaust und die Schuld der Deutschen. Gleichzeitig schlossen sie sich der weltweiten, antiautoritären Jugendrebellion in den sechziger und siebziger Jahren an. Das führte zwar nicht zu den
angestrebten Zielen einer radikalen politischen Umgestaltung des Staates, hatte aber beträchtliche Auswirkungen auf das Umdenken und Umsteuern in den Bildungsystemen, was einer Kulturevolution gleich
kam. Darüber hinaus sammelte sich eine breit verankerte Friedensbewegung in Verbindung mit der Antiatombewegung, besonders nach den Reaktorkatastrophen von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011. Die
ökologische Bewegung transformierte sich teilweise in „ grünen“ Parteien, die in der Bundesrepublik Deutschland zeitweise sogar eine Regierungsteilnahme erreichten. Auf kulturellem Gebiet haben sich
seit 1945 neue Stile und Tendenzen in den verschiedenen Sektoren der Kunst durchgesetzt. Von den USA ausgehend, beherrschte die abstrakte Malerei lange den Markt und drängte den Realismus bis in die
sechziger Jahre flächendeckend zurück. In den kommunistischen Ländern wurde dagegen der Stil des „sozialistischen Realismus“ zum Dogma. Im Westen wechselten sich abstrakter Expressionismus, Action
painting, Pop Art, Minimal Art, Happenings, Installationen, Konzeptkunst und Videokunst ab oder existierten nebeneinander her. Die neue Musik ging weit ab vom Publikumsgeschmack neue Wege. In der
Architektur dominierte weiterhin der vom Bauhaus initiierte Stil und die neue Hochhausarchitektur. Insgesamt gesehen entstand eine Kulturindustrie, die stark von finanziellen Motiven und
Investitionsbestrebungen getragen wird und zu absurden Preissteigerungen bei alten und neuen Spitzenwerken der Kunst geführt hat.
12. Zeitenwende 1990 - Gegenwart
1990 fiel die Berlinerr Mauer, was zur Folge
hatte, dass sich vorerst die Fronten im
„Kalten Krieg“ auflösten. Die ehemaligen
Satellitenstaaten der UdSSR befreiten sich
von der sowjetischen Vorherrschaft. Der
Warschauer Pakt löste sich auf. Russland
blieb aber eine Diktatur, besetzte 2014
unter
Putin die Krim. und begann 2022 einen
Krieg mit der Ukraine, der andauert. Im
Nahen Osten eskalierte immer wieder der
Konflikt zwischen Israel und den
Palästinensern. In Fernost spitzt sich der
Konflikt zwischen China und Taiwan zu.
Millionen Menschen sind auf der Flucht aus
den ärmeren oder totalitären Staaten, was zu
erheblichen Migrationsproblemen in den
Zielländern führt. Autoritäre und
rechtsextreme Kräfte bedrohen zunehmend
die Demokratien. In der Ökonomie hat das
Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI)
begonnen, die immer weitere Bereiche der
Gesellschaft erfasst.
Das vorläufige Ende des „kalten Kriegs“ nach dem gewaltlosen Aufstand der Menschen in der DDR sorgte für erhebliche
politische Erschütterungen. Nach dem Anschlusss der ex-DDR an die BRD grieten die Menschen in der ehemaligen DDR durch die Übernahme der Machtpositionen in Politik, Ökonomie und Kultur seitens
westdeutscher Unternehmen, Politiker und kultureller Eliten in eine Abhöngigkeit, die teilweise zu wirtschaftlicher Verelendung führte. Zunächt stärkte das ex-kommunistische Kräfte, die sich in der
SED Nachfolgepartei „Die Linke“ sammelten, in jüngster Zeit gewannen in den ostdeutschen Ländern starke rechtsextreme Kräfte an Bedeutung (AFD), die an die Regierung drängen. Diese Trends sind in
vielen europäischen Ländern zu beobachten. In den USA haben sie zu einer Präsidentschaft geführt, die die Demokratie zu untergraben droht. Die MAGA - Bewegung des unberechenbaren Donald Trump, der
die traditionellen demokratischen Institutionen zu zerstören droht, gefährdet darüber hinaus den freien Welthandel mit einer gefährlichen Zollpolitik. Im Nachkriegseuropa folgten 1990/1991 erstmals
wieder Kriege. Der Zerfall des Staates Jugoslawien in seine ethnischen Bestandteile: Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro und Bosnien/Herzegowina schuf neue Realitäten, später kam es noch zur
Abspaltung des Kosovo von Serbien. Ein neues bedrohliches Phänomen zeigte sich seit den siebziger Jahren mit den verschiedenen Terrorformen des politischen Islamismus (Al Kaida, Islamischer Staat, Al
Schaabab, Huthi-Milizen, Taliban), die nach zunächst vereinzelten Terrorattacken ihre Höhepunkte in der Zerstörung der Türme des World Trade Centers in New York im September 2001 („Nine Eleven“) und
der Ausrufung des Kalifats des IS im Irak und Syrien fanden. Diese Bedrohung hält an und hat bereits viele Opfer, auch in Europa, gefunden. Im Hintergrund unterstützt der Iran die Terrorgruppen
finanziell und ideologisch, während die arabischen Regierungen sie bekämpfen. Im Oktober 2022 überfiel die Hamas, die den Gaza-Streifen beherrscht, ein israelisches Festival und einige Kibbuzim an
ihrer Grenze. Über 1000 Israelis wurden ermordet, Frauen vergewaltigt. Die Hamas nahm über 200 Geiseln. Israel schlug mit steigendem militärischen Einsatz zurück, was zur Zerstörung der dortigen
Städte und zivilen Einrichtungen mit zehntausenden Toten unter der palästinensischen Zivilbevölkerung führte. Es kam zu weltweiten propalästinensischen Demonstrationen. Der Konflikt hält bis in die
Gegenwart an. Der Angriff Russlands auf die Ukraine 2022, nachdem bereits 2014 die Halbinsel Krim okkupiert worden war, entwickelte sich zu einem Krieg, in dem die NATO, die EU und die USA die
Ukraine unterstützen. Bjelaruss, China und Nordkorea zeigten sich als Verbündete Russland, aber auch Staaten in der EU wie Ungarn und die Slowakei stehen auf der Seite Russlands. Diplomatische
Versuche, den Krieg zu beenden scheiterten bisher an Putins Bedingungen, hinter denen der Versuch steht, die Auflösung der Sowjetunion rückgängig zu machen, was die baltischen Staaten, Polen und
Moldavien in Alarm setzt. Erst ab den achtziger Jahren wuchs, gefördert durch wissenschaftliche Erkenntnisse, die Einsicht bei einer Minderheit der Bevölkerungen, dass die mit der „great acceration“
verbundenene Wachstumssteigerung zu einer ökologischen Katastrophe zu werden droht. Der anthropogene Klimawandel führt mit der wachsenden Erwärmung der Atmosphäre durch einen rasant anwachsenden CO2
Ausstoß und durch Treibhausgase (Methan), die Zerstörung der Biosphäre und der ozeanischen Ökologie mit absehbaren und bereits eintretenden Folgen wie Überschwemmungen großen Ausmaßes, Anstieg des
Meerespiegel, Verschmutzung der Flüsse und Ozeane, vermehrte Waldbrände und andere menschengemachte Eingriffe in die Ökosysteme Das hat zwar Widerstand in den Zivilgesellschaften hervorgerufen, der
bislang aber von den Interessen der vom gegenwärtigen Ausbeutungssystem der Natur profitierenden Länder und Großkonzerne erfolgreich unterdrückt wird. Lediglich in der wissenschaftlichen Analyse der
Gefahren haben internationale Umweltkonferenzen Fortschritte erbracht. Von 2022-2022 lähmte eine von China ausgehende Pandemie, die „Corona“ Pandemie das gesellschaftliche Leben weltweit. In der
Folge gewannen Verschwörungstheorien und rechtspopulistische Parteien in vielen Ländern großen Zulauf, der auch nach dem Ende der Pandemie nicht verschwand. In immer mehr Ländern Europas wächst die
Gefahr einer Übernahme von Regierungsfunktionen durch rechtsextreme Parteien. Seit den 80iger Jahre kamen die Prozesse der Digitalisierung und Robotik rasch voran und aktuell spielt die Künstliche
Intelligenz mit ihrem Rationalisierungspotential eine immer bedeutendere Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Konsum von Inhalten sozialer Medien neben den öffentlich-rechtlichen Institutionen
erfasst ein immer jüngeres Publikum, das „fake news“ oft nicht durchschaut. Andererseits tritt mit der neuen Medienszene in den USA eine Typ von Tech-Milliardären in den Vordergrund, deren Konzerne
global agieren und die die Politik unter Druck setzen, um ihren Interessen Vorrang zu verschaffen. Im sozialen Bereich dominiert weltweit die wachsende Ungleicheit zwischen den verschiedenen
Bevölkerungsschichten, verstärkt durch eine millionenfache Migration, die eine scharfe Gegenreaktion der entwickelten Industriestaaten hervorruft (“Festung Europas“) und einen politischen Rechtsruck
in vielen Staaten befördert. Als neue wirtschaftliche Weltmacht entwickelt China eine immer stärkere Präsenz, die auch politische Folgen hat.
BILANZ
Was bei einem Überblick auf die zwölf
Zeitenwenden sofort auffällt, ist die Tatsache, dass die Abfolge der Zäsuren vom Beginn der paläontologischen Epoche bis heute immer rascher erfolgen. Ging es zunächst um Zeiträume, die
Jahrzehntausende umfassten, so ändern sich heute die Verhältnisse schon in Jahrzehnten radikal. Die Veränderungsdynamik hat erheblich zugenommen. Eine andere interessante Frage betrifft den Motor der
Zäsuren. Welche Rolle spielt das Verhältnis des einzelnen bedeutenden Entdeckers oder Herrschers für den Weitergang der Dinge? Für welche Bereiche trifft es zu, dass es auf Einzelne ankommt, damit es
weiter voran geht und Neues akzeptiert wird? In Gestalt der religiösen Reformer wie Jesus, Luther oder Buddha wird das deutlich. Aber auch Wissenschaftler wie Kopernikus , Galilei, Newton oder
Einstein veränderten die Sicht auf die Welt. Bei den Herrschaftsverhältnissen sind die Beziehungen zwischen dem Einzelnen und seiner Umwelt komplexer. Das bringt auch die Frage nach der Kontingenz
oder dem Determinismus in die Debatte. Hitler verließ eine Veranstaltung unerwartet einige Minuten früher als geplant. Damit explodierte die von Elsner gelegte Bombe zu spät. Stauffenberg zündete am
20. Juli 1944 in der Eile und wohl auf Grund seiner Verwundung gehandicapt nur eine statt wie vorgesehen zwei Bomben auf der Wolfsschanze. Hitler überlebte, nur leicht verletzt. Das sind nur zwei
Ereignisse als Beispiele mit Folgen. Andererseits sind auch radikale Veränderungen pfadabhängig und lassen sich in gewissem Maße voraussagen. Alle diese grundsätzlichen Fragen sind in den Debatten
der Historiker umstritten, lassen sich nicht umstandslos beantworten. Ob wir derzeit bereits von einer neuen Zeitenwende, der 12., sprechen können, muss ebenfalls offen bleiben. Es spricht allerdings
viel dafür. Auf der einen Seite sprunghafte Entwicklungen von neuen Technologien wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Raumfahrt, „Cyber Kriege“ mit neuen Cyberwaffen, auf der anderen Seite
die Verstärkung der ökologischen Bedrohungen in Form des Klimawandels und der Zerstörung der Biodiversität, was eine umfassende Veränderung der Lebensbedingungen auf unserem Planeten bewirken könnte.
Die nächsten Jahrzehnte werden es zeigen.
ANHANG
Kriege zwischen Staaten, Bürgerkriege, Aufstände, bewaffnete Konflikte von 1945 -2025 (Quelle wikipedia "Kriege nach
1945, aufgerufen am 22.4.2025): 1945–1949 Indonesischer Unabhängigkeitskrieg -- 1946–1949 Griechischer
Bürgerkrieg 1946–1954 Französischer Indochinakrieg 1947–1949 Erster Indisch-Pakistanischer Krieg (Erster Kaschmir-Krieg) 1947–1949 Palästinakrieg seit 1948 Bewaffnete
Konflikte in Myanmar 1950–1953 Koreakrieg 1954–1962 Algerienkrieg 1955–1959 Zypriotischer Unabhängigkeitskrieg 1956 Sueskrise (Zweiter israelisch-arabischer Krieg)
1956 Ungarischer Volksaufstand 1956–1959 Kubanische Revolution 1957–1958 Spanisch-Marokkanischer Konflikt 1957–1962 Niederländisch-Indonesischer Krieg um West-Neuguinea
1955–1975 Vietnamkrieg 1959 Tibetaufstand 1960–1989 Namibischer Befreiungskampf 1960–1996 Guatemaltekischer Bürgerkrieg 1961–1991 Eritreischer Unabhängigkeitskrieg
1961–1963 UN-Katanga-Krieg 1961 Schweinebucht-Invasion (USA – Kuba) 1961–1974 Portugiesischer Kolonialkrieg 1961/1974–2002 Unabhängigkeits-/Bürgerkrieg in Angola
1976–1992 Mosambikanischer Bürgerkrieg 1962 Indisch-Chinesischer Grenzkrieg 1962–1970 Bürgerkrieg im Nordjemen 1963–1964 Algerisch-Marokkanischer Grenzkrieg
1963–1967 Shifta-Krieg 1965 Zweiter Indisch-Pakistanischer Krieg (Zweiter Kaschmir-Krieg) 1964–2016 Bürgerkrieg in Kolumbien 1966–1994 Bürgerkrieg im Tschad
1967 Sechstagekrieg (Dritter israelisch-arabischer Krieg) 1967–1970 Biafra-Krieg (Nigeria) 1968–1979 Bürgerkrieg im Baskenland 1969 Fußballkrieg (Honduras/El
Salvador) 1969 Chinesisch-Sowjetischer Grenzkrieg (1969) seit 1969 Unabhängigkeitskampf der Provinzen Papua und Papua Barat 1969–1997 Nordirischer Bürgerkrieg
1971 Bangladesch-Krieg 1971 Dritter Indisch-Pakistanischer Krieg 1971–1972 Erster Uganda-Tansania-Krieg 1973 Jom-Kippur-Krieg (Vierter israelisch-arabischer Krieg)
1974 Zypernkonflikt 1974–1991 Äthiopischer Bürgerkrieg 1975 Bürgerkrieg in Osttimor 1975 1975–1988 Grenzkrieg zwischen Thailand und Kambodscha (ab 1979 unter vietnamesischer Besetzung)
1975–1990 Libanesischer Bürgerkrieg 1975–1999 Unabhängigkeitskampf in Osttimor (Besetzung Osttimors durch Indonesien) 1976–1978 Ogadenkrieg 1977 Libysch-Ägyptischer
Grenzkrieg 1977–1978 Shaba-Invasion (Kongo/Angola) 1977–1989 Vietnamesisch-Kambodschanischer Krieg 1978–1987 Libysch-Tschadischer Grenzkrieg 1978–2005 Sezessionskrieg in
Aceh (Indonesien) 1979–1989 Afghanischer Bürgerkrieg und sowjetische Intervention 1978–1979 Zweiter Uganda-Tansania-Krieg 1979 Chinesisch-Vietnamesischer Krieg
1980–1988 Erster Golfkrieg (Iran-Irak) 1981 Peruanisch-Ecuadorianischer Grenzkrieg 1981–1990 Contra-Krieg (Bürgerkrieg in Nicaragua unter Beteiligung der USA)
1982 Libanonkrieg 1982 Falklandkrieg (Argentinien/Großbritannien) 1983–2009 Bürgerkrieg in Sri Lanka 1983–2005 Sezessionskrieg im Südsudan 1983 US-Invasion in Grenada,
Operation Urgent Fury 1985 Krieg um den Agacher-Streifen seit 1986 LRA-Konflikt 1986–1992 Bürgerkrieg in Suriname 1987–1993 erste Intifada (Gaza/Palästina/Israel) seit
1988/1991 Somalischer Bürgerkrieg 1989 US-Invasion in Panama 1989 Rumänische Revolution 1989 Georgisch-Ossetischer Konflikt 1989–1996/1999–2003 Liberianischer Bürgerkrieg
1990–1991 Zweiter Golfkrieg (UN-Koalition-Irak) 1990–1994 Bürgerkrieg in Ruanda 1991–1994 Dschibutischer Bürgerkrieg 1991–2001 Jugoslawienkriege
1991 10-Tage-Krieg in Slowenien 1991–1995 Kroatienkrieg 1992–1995 Bosnienkrieg 1999 Kosovokrieg 2001 Mazedonienkrieg 1991–2002 Bürgerkrieg in Sierra Leone
1991–1992 Georgisch-Südossetischer Krieg 1992 Transnistrien-Konflikt 1992–1997 Tadschikischer Bürgerkrieg 1992–1993 Abchasienkrieg 1992–1994 Krieg um Bergkarabach seit
1994 Belutschistankonflikt seit 1994 erster Jemen Konflikt 1994–1996 Erster Tschetschenienkrieg 1994–2006 Bürgerkrieg in Nepal 1996–1997 Erster Kongokrieg
1998–2000 Eritrea-Äthiopien-Krieg 1998–2003 Zweiter Kongokrieg 1999 Kargil-Krieg 1999 Dagestankrieg 1999–2009 Zweiter Tschetschenienkrieg 2000–2005 Zweite Intifada
2001–2021 Krieg in Afghanistan 2001–2021 2002–2007 Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste 2003–2011 Irakkrieg 2003–2009 Darfur-Konflikt seit 2004 Südossetienkonflikt seit 2004
Unabhängigkeitskampf südossetischer Rebellen 2008 Eskalation im Sommer 2008 seit 2004 Huthi-Konflikt im Jemen seit 2015 „Sturm der Entschlossenheit“, Offensive von
Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain, Katar, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien, Marokko, Sudan und Pakistan gegen die Huthi-Miliz im Jemen 2005–2010 Bürgerkrieg im Tschad seit
2006 Drogenkrieg in Mexiko 2006 Libanonkrieg 2006 seit 2006 Fatah-Hamas-Konflikt 2006–2009 Dritter Kongokrie seit 2015: Wiederaufnahme des dritten Kongokrieges
2008 Eritreisch-dschibutischer Grenzkonflikt 2008 Kaukasuskrieg 2008–2009 Operation Gegossenes Blei Gaza (Hamas)/Israel seit 2009 Krieg gegen die Taliban in Pakistan
2010–2011 Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste 2011 Bürgerkrieg im Libanon 2011 Internationaler Militäreinsatz in Libyen 2011 seit 2011 Aufstand im Irak seit 2014 Irakkrise seit
2014 Krieg gegen den Islamischen Staat -- seit 2011 Bürgerkrieg in Syrien seit 2014 Krieg gegen den Islamischen Staat -- seit 2012 Rebellion der Bewegung 23. März, Demokratische
Republik Kongo seit 2012 Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik -- seit 2012 Konflikt in Mali 2013–2014 Opération Serval 2013–2018 Bürgerkrieg im Südsudan seit 2014
Krieg in der Ostukraine seit 2014 Krieg gegen den Islamischen Staat seit 2014 Operation Inherent Resolve seit 2015 Operation Counter Daesh 2014 Krieg in Gaza seit
2015 Jemenkrieg seit 2016 Rohingya-Konflikt seit 2016 Drogenkrieg auf den Philippinen 2020 Bergkarabachkonflikt 2020 seit 2020 Bürgerkrieg in Tigray seit
2021 Bürgerkrieg in Myanmar seit 2022 Invasion Russlands in der Ukraine seit 2023 Bürgerkrieg im Sudan seit 2023 Krieg in Israel und Gaza seit 2024 Krieg im Kongo
Weitere Quellen: Klaus Jürgen Gantzel mit Torsten Schwinghammer: Die Kriege nach dem Zweiten
Weltkrieg 1945 bis 1992. Daten und Tendenzen (= Kriege und militante Konflikte. 1). Lit, Münster u. a. 1995, ders. Über die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg. Tendenzen,
ursächliche Hintergründe, Perspektiven, in: Zeithistorische-Forschungen, Hamburg 1996