erschienen im Mitteldeutschen Verlag, Halle (Saale)     am 3. September 2019,                         336 Seiten + 32 Farbtafeln,   Preis: 28 Euro                                                                                                                                                                        

„Eine gründliche Biografie des Dangaster Malers fehlte bislang. Die Lücke hat der Bremer Publizist Eberhard Schmidt, emeritierter Politikwissenschaftler der Universität Oldenburg, gefüllt. Und um es vorweg zu sagen: Eberhard Schmidt hat die Annäherung an den komplizierten Charakter bravourös gemeistert. Erschienen ist ein gründliches Werk, das über Jahre hinaus das Standardwerk zu Radziwill sein wird.“ (Hans Begerow in der Nordwest Zeitung Oldenburg, 21.12.2019).

 

 

Annäherung an eine Biographie 

Treten die Besucher durch die niedrige Tür, die in die Diele des alten Fischerhauses in Dangast am Jadebusen führt, tauchen sie unmittelbar in die Welt des Malers Franz Radziwill ein. In den niedrigen Räumen unter schwarzen Holzbalken steht man vor den von ihm entworfenen Schränke, die er mit Blumen- und Landschaftsmotiven bemalt hat. Auch die Türen zeigen Ornamente mit symbolischer Bedeutung. Dort, wo an den Wänden noch Platz ist, ahängen seine Bilder. Ein kleinerer Raum enthält zwei Alkoven mit Betten und Bücherregalen. In der Küche sind die Wände mit niederländischen Kacheln geschmückt. Klinkersteine bilden auf dem Fußboden ein Kreuzmuster. Von seinem Stuhl in der Fensterecke, an dem der Maler gerne saß, konnte er den Passanten und den Vögeln nachschauen oder den vorüberziehenden Wolken. Der Blick geht über Felder und Wiesen in die Ferne. Eine schmale Stiege führt hinauf in sein Atelier im nachträglich angebauten Turmgeschoss. Vom Nordfenster aus ahnt man unter dem hohen Himmel das Meer. Dort steht die Staffelei, Pinsel und Farbtuben liegen daneben, alles sorgfältig angeordnet, so als könnte er im nächsten Augenblick durch die Tür treten und an einem seiner magisch-realistischen Gemälde weiterarbeiten.

„Alles, was ich erlebt habe“, hat Franz Radziwill einmal gesagt, „hat seinen Niederschlag in meinen Bildern gefunden, darin habe ich mir meine Bedrängnis von der Seele gemalt…“ Er hat in seinem langen, ereignisreichen Leben fast das gesamte zwanzigste Jahrhundert durchmessen. Sein Lebensweg begann noch im Kaiserreich und führte ihn durch Kriege, revolutionäre Umbrüche und mehrfach wechselnde Herrschafts- und Gesellschaftssysteme. Die Verheerungen der deutschen Geschichte der jüngeren Vergangenheit haben in seiner persönlichen Entwicklung und in seinem künstlerischen Schaffen unverkennbar ihre Spuren hinterlassen. Mehr als 850 Gemälde hat er im Laufe seines Lebens fertiggestellt, dazu kommt noch ein große Anzahl an Aquarellen, graphischen Arbeiten und Federzeichnungen. Sie alle können uns über seine Biographie Auskunft geben. Er hat aber nicht nur seine Bilder hinterlassen, sondern auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Gedichten und einige Prosatexte, ebenso wie Tagebücher, Briefe und Zeitungsartikel. In zahlreichen Interviews und in zwei dokumentarischen Filmen hat er Zeugnis über sein Leben, seine Gedanken und sein Schaffen abgelegt.

Es liegt mithin reiches Material für den Biographen vor. Dazu kommen die Aussagen von Zeitzeugen – aus der Familie, dem Freundeskreis und den Personen, die ihm im Laufe seines Lebens begegnet sind. Schließlich finden sich Dokumente und Schriftwechsel in verschiedenen Archiven, die Informationen über die bürokratische Existenz des Franz Radziwill liefern. Aus all diesem Material den Lebensweg des Malers heraus zu lesen, seine Gedankenwelt zu entschlüsseln, seine Entscheidungen zu begreifen, die Anfechtungen, denen er ausgesetzt war, verständlich zu machen und die Widersprüche, die zu seinem Leben gehörten, nicht zu unterschlagen, beschreibt die Aufgabe, vor die sich ein Biograph Franz Radziwills gestellt sieht.

Biographien, zumal wenn sie sich bedeutenden Künstlern widmen, sehen sich dem Problem gegenüber, das Verhältnis von individueller Persönlichkeitsentwicklung und den historischen und gesellschaftlichen Umständen, die auf das Individuum einwirken, angemessen zu gewichten. Es gilt auf der einen Seite einen Geniekult zu vermeiden, der den Künstler autonom von allen äußeren Einflüssen als einsamen Schöpfer seiner Werke darstellt, auf der anderen Seite ist er aber auch nicht einfach das Objekt der Zeitläufte und der auf ihn einwirkenden sozialen und politischen Umstände. Die Ziele, die sich ein Künstler in seinem Lebenslauf setzt und die er hartnäckig verfolgt, die Hindernisse, die er dabei zu überwinden hat, die Zufälle, die ihm zu Hilfe kommen oder die Verstrickungen, in die er gerät, kurz: die Kontinuitätsmomente in seinem Leben, ebenso wie die Brüche verlangen nach einer Darstellung, die der Komplexität seiner Persönlichkeit gerecht werden.

Der Biograph tut allerdings gut daran, sich im Klaren darüber zu sein, dass seiner Rekonstruktion eines fremden Lebens Grenzen gesetzt sind. Die lebendige Wirklichkeit des beobachteten und beschriebenen Lebensweges kann nur bis zu einem gewissen Grad erfasst werden. Was als Material zur Beschreibung zur Verfügung steht, ist notwendig lückenhaft und muss vielfach kritisch überprüft werden. Der Versuch, sich in eine andere Person hinein zu versetzen, ihrem Denken, Fühlen und Handeln nachzuspüren, stößt auf systematische Schranken. Die letzten Motive des Handelns, die dem Individuum oft selbst verschlossen sind, bleiben zwangsläufig im Dunkeln. Die Beobachtung von außen kann immer nur eine Annäherung leisten.

Erleichtert wird diese Arbeit, wenn genügend Selbstzeugnisse des Künstlers vorliegen, die ein Licht auf sein Denken und Handeln werfen. Hugo von Tschudi, der einstige Direktor der Berliner Nationalgalerie, hat einmal gesagt: “Gewiß das Beste, Inhaltsreichste und Aufklärendste, was über Kunst gesagt wurde, ist von Künstlern selbst gesagt worden.“ Ich habe mir diese Feststellung für die vorliegende Biographie weitgehend zu eigen gemacht und zitiere ausgiebig aus den Selbstzeugnissen Franz Radziwills, nicht zuletzt auch, weil ich hoffe, indem ich ihn selbst unverfälscht zu Wort kommen lasse, bei den Leserinnen und Lesern ein gefühlsmäßiges Verständnis der vielfältigen Aspekte seiner Persönlichkeit wecken zu können: seine Begeisterungsfähigkeit, seine Neugier, seinen Humor, seine Empathie, seinen Zorn und seine Ängste. Generell vermieden habe ich psychologische Analysen und persönliche Wertungen, die in der Regel mehr über den Biographen verraten als über den Porträtierten.

 

 

 

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© Eberhard Schmidt