Rosen gehören, wie jeder Kenner und Liebhaber der Gedichte Gottfried Benns weiß, zum unverrückbaren Inventar seiner lyrischen Produktion. Dabei bevorzugte der Dichter unter den Blumen die Rose dermaßen unverhältnismäßig, dass es sogar seiner Frau aufstieß, die dem rosentrunkenen Treiben des Gatten mehrfach Einhalt zu gebieten suchte. In einem Brief an den Bremer Kaufmann F. W. Oelze beschwert er sich bitter bei dem Freund: "Meine Frau hat mir verboten, noch in einem Gedicht das Wort Rosen zu verwenden - schade, es ist ein so schönes Wort" (Briefe an F. W. Oelze 3,46). Der Intervention von Ilse Benn mit dem Ziel, den Gebrauch der redundanten Metapher zu bremsen, war wenig Erfolg beschieden. Den Namen der Rose als poetische Chiffre für diverse, doch meist melancholische Stimmungslagen zu nutzen, das konnte sich der Dichter auch in späteren Jahren selten versagen.
Wer einmal in jungen Jahren losgelegt hat mit: "In Rosenschwangerschaft die Ebenen" oder: "Venus mit den Tauben gürtet sich Rosen um der Hüften Liebestor" ist vermutlich dazu verurteilt, gnadenlos die ganze Skala der möglichen Rosenmetaphern zu durchmessen. Vergleichsweise harmlos klingt da noch "rosen- und trümmerschwer" oder die "Sonnabendrosenstunde, da man noch hoffen mag" (auf wen oder was eigentlich?). Bildlich gewagter wird's dann schon bei "todweißen Rosen Glied für Glied - Korallen/ nur auf den Lippen, schwer und wundengroß"; und reimmäßig klingt es doch ziemlich fatal, wenn eine Sommerstunde so beschworen wird: "Geöffnet der Salon/ berauscht die Rosenrunde/ vom Klang des Steinway son". Salon auf son offenbart, milde ausgedrückt, doch ein etwas seltsames Fremdsprachengefühl. Ganz dick kommt es schließlich, liest man von einem "Veilchenlied des Himmels/ den jungen Rosenschößen hingesungen". Oder was soll bitte bedeuten: "In der Rosen Pause, vollzogen Schwäne ihren weißen Wahn"? Und womit haben wir diesen Ausflug in die Paläontologie verdient: "Ich bin Affen-Adam. Rosen blühn in mein Haar?" Vermutlich ist das ebenso wenig zu klären wie die folgende Leseblüte: "Zwischen Kreuzen und Christussen,/ Jerusalemhölzern und Golgathakränzen/ rauscht ein Rosenstrauß glückselig über die Ufer".
Aber, seien wir gerecht, es finden sich auch wunderbar stimmige Rosenbilder in den gesammelten Gedichten: "Gib dir das leise Verschweben/ unter Rosen und Licht", oder: "Rosen, gottweißwoher so schön,/ in grünen Himmeln die Stadt/ abends". Nachfühlen wird man auch: "Sträuße der Rosen hatten einen Schleier von Tränen vor". Überhaupt kommen Benns metaphorische Rosen fast immer bedeutungsschwer einher, so als ertrügen sie wie ihre Schwestern in natura, wenn sie sich im Garten unter einer Regenlast beugen, kaum ihr Gewicht. Sie assoziieren sich ahnungsvoll mit schwerem Schicksal und dunklem Geraune: "Traum - vor der Tiefe der Trauer blättern die Rosen hin". Oder: "Saum von Wunden, Saum von Rosen - weite Blicke, sommerspät“. Manchmal verbreiten sie aber auch einen faszinierend elegischen Glanz: "Ach, hinter Rosenblättern versinken die Wüsten, die Welt". Und was für einen suggestiven Duft verströmen Verse wie diese: "Du blühst wie Rosen schwer in allen Gärten allen, du Einsamkeit aus Alter und Verlust".
Die späten, die letzten Rosen sind hier gefragt: "Ergib dich der Levkoienwelle, die sich um Rosenletztes gießt". Oder: "Er hatte etwas auf der Bank gelesen /und in der letzten Rosen grau gesehn". Vermutlich "bei Rosenletztem, da die Fabel des Sommers längst die Flur verließ". Bald nämlich ist alles zu spät, "wenn erst die Rosen verrinnen/ aus Vasen oder vom Strauch". Da hilft trotzig-trauernd nur noch eins: "Fegt doch die fetten Rosen hin, den ganzen Pomp, den ganzen Lüster". Weil, es naht unweigerlich das Ende: "Noch einmal das Ersehnte, den Rausch, der Rosen Du". Und wenn es gut geht, dann "tragen dich vielleicht die Stunden noch bis zum Juni mit den Rosen hin". Dann aber ist wirklich Finis Poloniae: "Es ist die Ewigkeit, wo Herbst und Rosen tauschen den Blick vom Sterben weit".
Wer nun immer noch nicht genug hat von rosenfarbener Melancholie à la Benn, dem sei ein letzter Seufzer gegönnt, in dem die ganze Rosenweisheit kumuliert: "Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere, was alles erblühte, verblich." Sela, Psalmenende!
Nach dieser geballten Ladung Rosenschwermut registrieren wir gerne, dass Gottfried Benn, Flora sei Dank, beileibe nicht allein mit Rosen seinen Gedichten ihr unverwechselbares Flair gegeben hat. Der Dichter, den niemand auf Anhieb zu den bekannten "Gräserbewisperern" unter den deutschen Poeten zählen würde, hat in seinem Oeuvre reichlich Gebrauch von der bunten Pracht gemacht, die uns die geduldige Erde und die fleißigen Züchter bieten. Eine erste rasche Zählung ergab zunächst die erstaunliche Anzahl von immerhin siebenundvierzig (47) verschiedenen Blütengewächsen im gesamten poetischen Werk. Hier alphabetisch gereiht:
Amaryllis, Anemone, Aster, Bougainvillea, Butterblume, Clematis, Dahlie, Erika, Flieder, Forsythie, Ginster, Gladiole, Glockenblume, Glyzinie, Goldregen, Helenium, Heliotrop, Hyazinthe (Bleu Passe), Hibiskus, Hortensie, Kartoffelblüte, Kornblume, Krokus, Levkoie, Lilie, Lotos, Magnolie, Malve, Mandel, Mimose, (Klatsch)Mohn, Narzisse, Nelke, Oleander, Orchidee, Osterblume,. Päonie, Phlox, Ranunkel, Rose, Schleierkraut, Skabiose, Sonnenblume, Traubenhyazinthe, Tulpe (Semper Augustus), Veilchen und Vergissmeinnicht.
Dass damit aber noch immer nicht alle Varietäten erfasst waren, zeigte das Echo auf eine Mitteilung dieses poetologisch-botanischen Befundes an einige Freunde. Deren umgehende Reaktion machte auf weitere Spezies aufmerksam:
Ein zweiter Blick
Sehr sorgsam, Freund, warst Du beim Lesen nicht.
Auf einen Blick schon blüht mir die Resede,
gefolgt vom schweren Dufte des Jasmin.
Auch die Geranie wächst im Benn-Gedicht
Kein Grund, den Schierlingsbecher gleich zu leeren.
Such weiter – nach der Immortelle
Ist die Lupine stickstoffreich zur Stelle.
Doch eines tut mir wirklich weh
Wie übersahst Du denn die Giroflée?
Thomas Hinzpeter
Von anderer Seite ging dann noch folgende Ergänzung ein, die die Anzahl der verwendeten Blumenarten auf die beachtliche Zahl von zweiundsechzig (62) hochtrieb:
Melancholie
Wenn man von Astern liest, von Phlox und Rosen
Ergänzt von Hinzpeter und archiviert von Schmidt
Dann fragt man sich: wo sind Apotheosen?
Und lechzt nach Algenarm und Troglodyt
Kein Urgesicht, nur Aprèslude, Destille!
Banane, yes, Banane – keine trunkene Flut
Tag, der den Sommer endet: trink Kamille
Vergiß den Schierling und den Fingerhut!
Finis poloniae: gießt die Balsaminen,
würzt das Hors d’oeuvre mit Tarant und Dost
Die Myrte fällt, beim Klang der Kavatinen
Singt eine Leiche und dann ab die Post.
Du musst aus Deinem Kühlschrank alles holen –
Vom Blumenkorso kehrst Du leer zurück:
Die Schneeballblüten und die Nachtviolen
Sind Trug - poetisches Volapük
Reiner Dorner
Ein genaueres Studium der verwendeten Arten, vor allem aber die Häufigkeit ihrer Auftritte im floralen Theater unseres Dichters zeigt, die schlichteren Vertreter der Gattung haben es schwer, sich im Blumengarten der Dr. Benn zu behaupten. "Das Halbblau der Kartoffelblüte", "die dunkelhellila Aster" zwischen den Zähnen des ersoffenen Bierfahrers, "das Gelb der Butterblumen" oder "die Polster von Erika/ die Autobahn entlang" sind eher die Ausnahme.
An die eigene Mahnung: "Von Blumen musst du solche wählen, die blühn am Zaun und halb im Acker schon" hat er sich vorwiegend nicht gehalten. Es dominieren in seinem lyrischen Garten die Edelgewächse, die stolzen und exotischen Geschöpfe, die mittelmeerischen und üppigen Prachtentfalter, die Bougainvillea, die Asphodelen und Mimosen, der Oleander, die Magnolien und Päonien, die Glyzinien und der Goldregen. Da "sterben Felder den Asphodelentod"; da "steigt der Hades in Oleanderfarben dem Schlaf ins Lid", da liegt "ein Jubel aus Süden, ein Liebesschwarm von Malven über den Stufen". "Wir holen aus Cannes Mimosen/ für eine Stunde her" und heißen Orpheus und pflücken "Asphodelen und wandern den Styxen zu", am liebsten beim Anblick der "Sansibaren/ der Himmel hoch und still/ eine Insel von Nelkenwaren und die Blüte der Bougainville". Und so leuchtet und duftet es noch lange weiter.
Abschließend noch eine kleine Beckmesserei an Gottried Benns poetischer Blumenpracht.
An den Blumenbedichter Benn
Nur selten die Primel besungen
oder die Ringelblumen hinterm Zaun an der Bahn.
Immer gleich mit dem Schicksal gerungen
oder drohend beschworen den Wahn
beim Anblick von Rosen und Mohn
„Nimm fort die Amarylle...“
ja, warum denn, was hat sie getan?
„A bas die ganze Idylle“,
na schön, aber warum nicht in leichterem Ton
Ach, Gottfried, deiner Blumen Blüte
aus Traum und Trauer ist bald verweht,
doch deine Anemone: „der Erde ohne Güte
so schweigend hingesät...“,
die hat’s gebracht, das ist,
verdammt noch mal,
sehr gut gesagt.
Eberhard Schmidt
erschienen in: Mitteilungen der Gottfried-Benn-Gesellschaft,
Heft 18 , 8. Jahrgang /2021, S. 16-19